Traugott Giesen Kolumne
28.10.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Einem Paar in Krise
Ihr leidet. Ihr tut einander mehr
weh als gut. Ihr erwägt, auseinander zu gehen. Wenn das so weiter
geht, euer Beschuldigen und wechselseitiges Schwächen, dann ist bald
der letzte Rest an Liebe aufgezehrt. Noch glaubt ihr, zueinander zu gehören.
Noch glaubt ihr einander anvertraut zu sein. Noch seid ihr euch vertraut,
ihr wisst, was weh tut dem Andern und wie ihr ihn besänftigt bekommt,
selbst jetzt noch, da ihr euch viel aus dem Weg geht.
Zieht mal Bilanz, eine vorläufige.
Strebt jeder weg, weil er nichts mehr geben kann, nichts mehr nehmen will,
will nur Ruhe oder spürt den Sog zu einem andern Hafen. Dann lasst
euch endlich in Ruhe, keine Vorwürfe mehr, kein Baggern mehr, auch
das wechselseitige Nutzen einschränken, nicht mehr fragen und es laufen
lassen, mal sehen, wie�s wird.
Oder, wenn ihr beide noch aneinander haltet,
gebt euch noch mal eine Frist.
Und macht mal offen Geschäfte. Tauscht
und handelt bewusst das Abstellen handfester Ärgernisse, eins zu eins
und Freundlichkeiten Mass für Mass. Die Mühen, Pflichten, Vergünstigungen
(z.B. das gemeinsame Auto) werden neu verteilt, jedenfalls fallen die eingefahrenen
Privilegien weg. Die waren erträglich aus Liebe, aber jetzt muss erst
wieder Fairness einkehren. Ob jeder gern er selbst ist, er selbst sein
kann, ohne sich zu ducken in diesem Bund, ohne die erlernte, die eingefleischte
zu Schanden gegangene Behutsamkeit, das sollt ihr ja ausloten.
Und nicht pochen auf gläsernen Kalendern,
keine Kontrolle. Aber Verabredung gemeinsamer Zeiten; und die werden gestaltet
nach wechselndem Vorschlag. Machst du den Abend das mit, dann mach ich
den nächsten Deins mit.
Euer jeweiliges Mass an Nähe und
Abstand lebt sehr bewusst. Was man jahrelang, um nicht zu enttäuschen,
mitgemacht hat, nun nicht mehr. Ihr wollt ja gerade euer ehrliches Nötiges,
was ihr miteinander leben wollt neu erfühlen. Vielleicht zum ersten
Mal traut ihr euch, einfach zu sagen was ist. Vielleicht ist das entlastend.
Lasst jedenfalls das Reden von Schuld und Sünde. Es ist, was es ist.
Und nur das ist die Frage, ob du mit diesem Wissen bei diesem Menschen
bleiben willst.
Ein Paar bleiben und jedem seinen Weg
zugestehen, das geht, wenn die Wege nicht entgegengesetzt sind sondern
immer wieder im Gemeinsamen münden. Solange ihr euch über einander
auf dem Laufenden haltet, durchaus selektiv-autentisch, muss viel Verschiedenheit
nicht voneinander wegreissen. Das Interesse aneinander verlieren, sich
nicht mehr zuständig wissen auch für des andern Glück, das
trennt. Was trennt ist der Verlust der Liebe. Und da Liebe Geschenk, Wunder,
Gnade ist, die wir zwar mit Vernunft schützen können aber nicht
halten, darum ist das Verlorengehen der Liebe nicht Schuld, auch wenn viel
Schmerz und Trauer dabei ist. Aber noch hält euch was. Noch habt ihr
eine Frist.