Traugott Giesen Kolumne 26.05.2001
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Immer weitermachen
Ein moderner Held ist uns aufgegangen: Oliver
Kahn, der Torwart von Bayern München, trieb immer und immer wieder seine
Mannschaft nach vorn. Auch als nur noch Minuten zu spielen waren und ein
Sieg unmöglich schien. Er brüllte seine Mannen einzeln an mit
dämonisch verzerrtem Gesicht: "Weitermachen" - und war selbst der beste
Täter seiner Botschaft. Er hielt auch im letzten Spiel der Champions-League
sensationell und bügelte die verschossenen Elfmeter aus.
Weitermachen - die Deutschen taten das mal bis
zum bitteren Ende des totalen Wahns. Wir sollten schon das Ziel im Auge haben,
ob es wert ist erreicht zu werden und zu welchen Mühen und auf wessen
Kosten. Aber vorausgesetzt, ich will das und weiß auch, dass ich es
soll, dann muss ich kämpfen und darf nicht ablassen. Woraus ist der
Stoff dieses festen Willens?
Was trieb den alten kubanischen Fischer Santiago?
Nach 84 Tagen erfolgloser Ausfahrt fängt er endlich einen großen
Schwertfisch, gewinnt den von Ernest Hemingway so dramatisch geschilderten
Kampf, aber verliert das Ringen mit den Haien, die seine Beute anfallen.
Erschöpft und zerschunden bringt er das Skelett in den Hafen; er kehrt
als Geschlagener zurück und wird mit Hoffnung wieder und wieder
ausfahren.
Auch der Kampf des Kapitän Ahab mit dem
weißen Wal Moby Dick handelt von einem großen Weitermacher. Das
Schiff geht unter nach dreitägigem Kampf mit dem Monster. Auch die
Irrfahrten des Odysseus, die Heldentaten des Herkules und der Film Forrest
Gump erzählen von zäher Willenskraft. Sie ist geschöpft aus
der Lust zu überstehen, zu siegen, es gut zu machen. Auch will man der
Welt zeigen, dass wir nicht zum Teufel gehen, sondern es noch gut werden
kann.
Auch wird unser Wille ja gestärkt durch
die Lust an Klugheit - sie lässt uns Beute machen, indem wir geschickt
das Leben bestellen. Und wir haben ja auch Lust an Gerechtigkeit, fühlen
Schmerz und möchten ihn dem andern möglichst ersparen. Und Mut
schmeckt uns; wir sind nicht gern feig, resigniert, angsthasenhaft; für
Gutes können wir das Herz über die Hürde werfen. Und
Gleichgewichtssinn für bekömmliches Maß haben wir ja auch,
jedenfalls nach einiger Übung im Umgang mit den eigenen
Verrücktheiten. Eigenartig, die Bibel schreibt: "Die Erde des Anfangs
war wüst und leer"; und die Heilung beginnt mit: "Es werde Licht". Immer
wieder muss über dem Tohuwabohu (zu deutsch: "wüst und leer") das
Licht der Liebe und der Vernunft aufgehen. Wir dürfen nicht müde
werden, Frieden zu schaffen. Wenigstens die Ursachen für Friedlosigkeit
müssen wir verringern, müssen der Gewalt entgegentreten und Privilegien
zurückgeben. Jeder hat seinen Auftrag. Da muss er durch. Und dann kommt
das nächste, da muss er auch durch. Bis wir hier abgepflückt werden.
Dann war es genug.