Traugott Giesen Kolumne 16.02.2002
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Kinder sind Gabe und Aufgabe
Ihr seid sehnsüchtig nach Kindern, ich
kann euch verstehen, ich bin auch Vater und schon Großvater. Man findet
sich sehr eingebunden in den Lauf der Geschichte, ist schön in Dienst
genommen für die Zukunft - kaum eine andere Menschenwirkung greift so
weit nach vorn und prägt das Kommende so sehr wie Kinder. Kaum ein Einfluss
strahlt auf das eigene Werden so stark ab wie Vater- oder Muttersein.
Und doch sind Kinder Gabe und Aufgabe zugleich.
Und Glücklichwerden oder Scheitern liegen beängstigend nah beieinander
und sind oft genug ineinander verwoben. Ich meine, wir sollten diese wohl
wichtigste Begabung des Menschen nicht erzwingen. Der weise Theologe
Schleiermacher sagte sogar: "Du sollst nicht absichtlich ins Leben
rufen."
Gut, sich dem Leben hinzuhalten, aber ob Gott
uns als Eltern will, das liegt nicht in unserer Hand. Überirdisch klug
sagt es Thomas Mann in "Joseph und seine Brüder"; dort Jakob zu Elieser:
"Der Zeugende ist nur ein Werkzeug der Schöpfung, blind, und weiß
nicht, was er tut. Da wir den Joseph zeugten, zeugten wir nicht ihn, sondern
irgend etwas, und dass es Joseph wurde, das tat Gott. Zeugen ist nicht Schaffen,
sondern es taucht Leben in Leben in blinder Lust; er aber schafft."
Aber wie rauskriegen, was im höheren Sinn
ist? Wie viel ärztliche Hilfe ein Paar in Anspruch nimmt, um doch zu
zeugen und zu gebären, ist in verschwiegener Beratung des Paares mit
kompetenten Fachleuten zu klären. Es gibt wohl eine Grenze, die zu wahren,
menschenfreundlich ist: Dass nichts eingepflanzt wird, was sich als Fremdes
behaupten könnte. Denn wir sind ja wenig Willen und viel von Natur
Getaktetes. Leicht kann Argwohn uns vergiften und Skepsis hinterrücks
seine Düsternis ausspannen.
Wir müssen für uns wissen, dass wir
von guten Mächten mittels der Eltern gewollt sind, und nicht, dass uns
Menschen in ihrer Gier, sich zu verlängern, erzwungen haben. Nie, nie
sind wir so gut, dass unser Wunsch der Vater des Kindes sein kann. Denkenden
Geistes müssen wir uns zur Elternschaft berufen wissen. Zu riskant ist
die Enttäuschbarkeit von Kindern, zu beladen von Eigensucht und Irrtum
sind wir, als dass wir Kinder erzwingen sollten. Und was wissen wir, welche
Anlagen wir weitergeben, welches Chaos durch beider Verbindung zu Tage tritt.
Wer könnte im Ernst von sich behaupten, so wunderbar zu sein, dass er
Urheber eines Kindes sein könnte. Wie sollten wir auf eigene Faust Menschen
hervorrufen und ihnen ihr Dasein und Sosein aufzwingen.
Bitte, wenn dir, euch Elternschaft versagt bleibt,
dann nimm/nehmt das auch als Freispruch. Ihr könnt der Menschheit dienen
auf viele andere Weise. Nur solltet ihr Kinder nah bei euch haben. Ihr
könnt für Kinder da sein, ohne sie mit Zwangsvorstellungen zu
imprägnieren. Ohne die üblichen Ansprüche an eigene Kinder,
ohne das Zornig-, Hart-, und Eiskaltwerden, das uns üblichen Eltern
zu oft unterläuft. Ihr könnt mütterliche, väterliche
Menschen werden für Kinder, die nicht aus noch ein wissen, könnt
auch Pflegeeltern werden, hilfreiche Nachbarn. Ihr könntet wunderbar
aufhelfen "der Gnadenlosigkeit, die ganz im allgemeinen über der
Eltern-Kinder-Beziehung heutzutage liegt" (M. L. Kaschnitz).