Kolumne 23. Juli 2005
Traugott Giesen Kolumne 23.07.2005 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Mehr reden miteinander
In nur 31 Prozent der deutschen Firmen setzen sich Führungskräfte
und Mitarbeiter mindestens einmal im Jahr zu einem Gespräch zusammen;
in der Hälfte aller Betriebe finden solche Treffen überhaupt nicht
statt - so Die Welt vom 20.7, und vermutet, daß es Unsicherheit sein
könnte, die die Chefs zum Abtauchen auch vor dem Untergebenen veranlasst.
Dazu könnte die Sprachlosigkeit vieler Ehen passen In Restaurants sitzen
manche Paare versteinert stumm; es ist eine Labsal, wenn der Kellner ab und
zu einen Sprach-Brocken hinwirft. Kinder schauen gequält, wenn einer
fragt: Wie war es denn in der Schule? Und Jugendliche haben gegen Erwachsenen
eine Art Sprachscham. Sie ziehen die Kopfhörer über, wie andere
den Sturzhelm. Als würde Reden entblößen. Dabei ist Reden
Leben. Wir geben einander Würde, nehmen von einander guten Ruf, wenn
wir uns wahrnehmen. Miteinander reden ist sich gewahr werden als gleichwertig.
Wir nähren uns mit Sprache, Worte sind das Lebensmittel überhaupt.
Kaiser Friedrich II soll mal auf der Suche nach der Ursprache der Menschheit
angeordnet haben, eine Säuglingsgruppe gut zu versorgen, aber die
Pflegerinnen dürften mit ihnen nicht sprechen. Tragisch- statt einer
Ursprache auf die Spur zu kommen starben alle Kinder.
Wir müssen reden, müssen uns verständigen. Sicher kann man
auch mit Reden einen Schirm vor sich aufbauen, reden ist aktiv und aggressiv,
Zuhören ist gelebte Geduld. Herzensergüssen sich hinhalten beschafft
Erlösung; Wutgeschnaube aushalten bringt Gewalt zum Stehen. Zum rechen
Gespräch gibt M. Walser zu bedenken: Wenn man alles zusammen nimmt
, hat der andere mir viel weniger gesagt als ich ihm. Immer das gleiche Defizit
in der Außenbilanz. Weil ich nicht abwarten kann. Weil es mir zu schnell
peinlich ist, wenn keiner etwas sagt. Weil ich alles zu ausführlich
beantworte. Weil ich glaube, ich sei verantwortlich für das Gespräch.
So erfahre ich nie etwas und sage immer mehr , als ich zu sagen habe .
Beim Gespräch kann man viel falsch machen. Am Falschesten aber ist,
im Schweigen verkommen zu lassen. Eigene Meinungen, die sich mit anderen
verbinden, sind Bausteine für ein gemeinsames Haus. Schweigen zieht
nur Mauern hoch; Jeder weiß nur seins, macht nur sein. Unsere Seele
stülpt sich notwenig nach außen, sie ruft: Ist da jemand
? Wir müssen bemerkt werden, sonst sind wir nicht vorhanden. Wer
uns ins Gespräch zieht oder in eine Unterhaltung einfädelt, der
macht schön. Eine wortkarge Ehe kann glücken, wenn die beiden beredt
sind in gemeinsamer Arbeit. Aber in einer Firma muß über die
Abläufe Verständigung herrschen, müssen möglichst viele
fast alles wissen, damit sie nicht aus Unwissen kontraproduktiv sind. Wem
vorgeführt wird, daß seine Person nicht interessiert, der wird
nur flaches Funktionieren abliefern. Wer aber Gelegenheit zum Mitreden hat,
der bringt seine Talente mit ins Spiel. Und will den gemeinsamen Erfolg.
Wer Gespräch verweigert, der will auch den Erfolg nicht teilen. Und
ist an allem alleine schuld.