Kolumne 13. August 2005
Traugott Giesen Kolumne 13.08.2005 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Kämpfe ums Glück
Viele Bewerbungen fallen durchs Raster, Lockrufe zur Liebe bleiben ohne Antwort,
manch ein Hilferuf geht ins Leere; die günstige Wohnung, genau wie du
sie wolltest, hast du da, wo du sie suchtest, nicht gefunden. Aber soviel
geht daneben, kein Grund aufzugeben!
Die Werbung bemüht sich mit allen Tricks um Gehör. Tausend Umworbene
müssen überhaupt erst mal die Anzeige eines Blickes würdigen-
es braucht viel Trommelei, bis einer zugreift, eine das neue Produkt versucht.
Wieviel Gelder werden in Marktforschung und Gestaltungsphantasie versenkt,
wieviel Tester kosten vor, fahren probe, wieviel Erfindungen werden weggeworfen.
Von hundert Produkten neu auf dem Markt, sind doch 99 nach einem Jahr nicht
mehr da.
Und doch versuchen wir Menschen unser Glück, noch einmal, immer noch
einmal. Der Obsthändler platziert täglich neu seine leuchtenden
Früchte. Unzählige Variationen der Frontansicht werden für
ein neues Auto modelliert. Und wieviel wird im Lotto aufs Spiel gesetzt?
Und die Kinder kämpfen täglich neu um Freundschaft. Begierig saugen
sie, wenn man sie lässt, neues Wissen auf. Und die Kommandantin des
Shuttle Discovery wollte die ganze Menschheit mitreißen in die Abenteuer
der Raumfahrt. Sie tat dies so überzeugend, daß man sich seines
Kleinmutes wohl hat schämen können. Auf den alten Landkarten hieß
das unerforschte Gebiet: Wo die Löwen wohnen. Inzwischen
machen dort Millionen Menschen Urlaub oder graben die Bodenschätze aus.
Nur weil Unerschrockene die Wege bahnten und Kenntnisse mitbrachten. Und
die Astronauten zeigen uns doch neue Welten. Aber wer nicht wissen will,
wer sein Nachbar ist, mit dem er Wand an Wand lebt, seine Geräusche
sogar mitbekommt? Und wem seine Straße, sein Städtchen seine Heimat
ist? Ging der Husumer doch in den Laden und wollte einen Globus, einen Globus
von Husum... Lesen wir nicht alle erst die Lokalnachrichten? Tragen lieber
die eingewohnte Hose, gehen auf Urlaub ins vertraute Quartier.
Ähnlich bequem handhaben wir auch das mit dem Schicksal. Das bekannte
Unglück, ist es uns nicht lieber als das unbekannte Glück? Treue
ist kostbar, Freunde sind ein Schatz, jede Liebe ist es wert, daß man
alles für sie hingibt. Aber es kann nicht reichen, dies: Ich
fühlte mich beruhigt und wohlverteidigt, sicher in meinem abgeteilten
Büro mit meinem knackfrischen weißen Hemd (DeLillo). Irgendein
tiefes Verlangen ist auch in dir, grab das aus, hilf ihm zutage. Vielleicht
brauchst du eine heftige Auseinandersetzung, mit dem Risiko, diesen Menschen
nie wieder zu sehen. Und du wirst Erleichterung fühlen, die dir an
Glückseligkeit grenzt- du wirst dich nicht mehr aufreiben an sinnloser
Anstrengung. Oder du beschaffst einem Menschen bessere Umstände oder
du machst deine Arbeit besser, noch freundlicher oder effektiver. Oder du
verschenkst alles und trampst nach Indien oder, oder. Hauptsache, du liebst
das Leben und bist unternehmungslustig. Komm, rappel dich auf.