Traugott Giesen Kolumne 08.03.1997 Hamburger Morgenpost
Menschen klonen wäre Mord
Der Spiegel malt auf das Titelbild neben Dolly, dem ersten kopierten Schaf,
fünf kleine Hitlers, vier kleine Einsteins, drei Claudia Schiffers und
titelt: "Der Sündenfall". Andere Zeitungen erschaudern auch: "Der Mensch
spielt Herrgott", "Blasphemie", "Sakrileg" - schauerliche, menschenfeindliche
Taten scheinen im Kommen. Da greifen auch Medien, die den Atheismus sonst
im Impressum mit stehen haben, zu Worten, die nach Gottesglauben nur so schreien.
Die Herstellung der exakten Kopie eines erwachsenen Säugetieres ist
in Schottland erstmals gelungen. Blieben die Wissenschaftler beim Multiplizieren
von Tieren, könnte man das vielleicht hinnehmen. Denn die Hammmelkeule,
auf die es uns ankommt, soll in höchster Zartheit wieder und wieder
gleich erwerbbar sein. Was uns Fleischesser am Schaf interessiert, ist gerade
keine Individualität sondern Qualität.
Eine Hammelkeule läßt sich klonen, Geist wohl nie. Und doch ist
die Wissenschaft wohl auch auf dem Weg zum geklonten, ungeschlechtlich
vervielfältigten Menschen. Wir sind Sucher bis zum Verrücktwerden.
Keine Perversität bleibt unversucht. Auschwitz und die Atombombe zeigten:
Losgekettet von Gott sind Mensch zu allem fähig.
Darum rufen wir bei der neuerlichen Versuchung zur Unmenschlichkeit nach
Glauben. Es ist wohl so: "Ohne Gott ist alles erlaubt" - sagt Dostojewski
und legt damit bloß, warum wir beim Verdammen des Menschenklonens
Gottesglauben beleihen. Letztlich nur aus dem Glauben an den liebenden
Schöpfer stammt das Wissen: Jeder Mensch hat seine unantastbare Würde
- eben weil Gott jeden einmalig will, ewig unverwechselbar, verantwortlich,
einzig begabt; jeder Mensch ist darin Person, daß durch ihn etwas von
Gottes Heiligkeit hindurchtönt (personare (lateinisch) =
hindurchtönen).
Dies Einzigartige des Menschen erkennt die Liebe. Sie will das Anderssein
des Nächsten; Liebe hütet die Freiheit des anderen. Darum wollen
einigermaßen vernünftige Eltern auch keine Kinder, die ganz der
Vater, ganz die Mutter sind. Wir wissen doch viel zu viel von unsern Schatten,
als daß wir uns wünschen könnten, unsere Kinder sollten Dubletten
von uns sein. Ihre Chance ist, daß sie mit viel Ähnlichkeit von
uns her ganz anders, nämlich sie selber werden. Und jeder sei berufen
zu seinen Erfahrungen, seinem Wesen, seinen Fehlern, seinem Glück.
So sollten wir alles lassen, was in Richtung Menschenklonen zielt, sollten
es gesetzlich verbieten und bestrafen. Denn kein Mensch hat das Recht, einen
andern Menschen ohne die Würde seiner Einmaligkeit ins Leben zu rufen.
Das wäre Mord von Anfang an.