Traugott Giesen Kolumne 19.04.1997
aus "Hamburger Morgenpost"
Beten hält Leib und Seele
zusammen
Einfach zwischendurch bewußt Atem holen,
dann ausatmen und im Augenblick der Leere und Stille merken: Gut zu leben;
oder: Ich habe es schwer. Das Innerste merken ist schon Beten. Was in mir
vorgeht, hat ein weites Echo. Mich wohlfühlend, danke ich; mich
kläglich fühlend, klage ich automatisch. Es ist wohl so, daß
unser Ich angeschlossen ist an ein Gutes, dem sage ich: Gott sei Dank; den
frage ich anklagend: Warum ich?
Selbst wenn du denkerisch dich für einen
Atheisten hältst, hat dein Körper ein Sensorium für Ganzsein.
Wenn es dir gut schmeckt, hast du Wohlbehagen und das besorgt dir Lust zu
leben, und das bereitet in dir Dank. Wenn ein Kind mit dem geschenkten Ball
losspielt, wird der Schenkende nicht auf freundliche Worte pochen sondern
das Glück des Kindes als schönsten Dank quittieren. So tut es wohl
auch der Grund der Welt - der liest auch den Dank aus der Freude.
Und unsere Schmerzen schreien danach, daß
ein ewiges Bewußtsein vorhanden ist, welches den Jammer stille. Wir
müssen bitten in der Not, wie wir hoffen müssen.
Wir beten mehr als wir fromme Worte finden und
in Richtung Himmel schicken. Allein beim Autofahren läuft doch ein stilles
Zwiegespräch unterschwellig mit: Hoffentlich geht das gut, hoffentlich
sieht der mein Blinken; und das Danken: Oh, das war knapp. Und auch wenn
ich dem Brummi-Fahrer eine gute Fahrt wünsche, sage ich es doch in Gottes
Ohr und nicht bloß in die Luft. Dieses Ich-höre-es-in-mir-Reden
taucht mir auf ins Bewußtsein, wenn ich an keine Gedanken geklammert
bin; die Gedanken kommen und gehen lassen ist das Geheimnis.
Ob mir schon Gebete erhört worden sind?
Mein, dein Lebensnetz besteht doch aus zahllosen Knotenpunkten von
Geglücktem. Und manches Erbetene durfte nicht gelingen. Und die Mühen,
die Abbrüche? Die Verluste konnte ich doch tragen, weil ich getragen
war.
Vielleicht können wir nicht weiter gelangen
als zu einer Bitte um Gehör. Daß wir gehört werden vom Herz
der Welt ist schon Erhörung. Beten ist auch ein Sortieren meiner
Wünsche: Ist wichtig, was ich will? Vermisse ich zu Recht? Beten rechnet
mit dem, dem alle Macht gehört und der in allem Lieben der letzte Grund
ist. Ihm Bescheid sagen, nimmt mich ins Gebet. Ich weiß dann, daß
Gott mit der Sache befaßt ist. Daß ich ihm beistehe, wenn ich
kann, und nicht ihn man machen lasse, was meine Sache wäre, ist mir
hoffentlich klar. Beten als Beschönigung meiner Trägheit ist
Blasphemie. Dies beherzigend, ist wohl Beten der einzige Akt, auf dessen
Wirksamkeit zu vertrauen ist. Und auch das ist ein starkes Gebet: Hilf mir
noch ein Stück weiter.