Traugott Giesen Kolumne 28.03.1998 aus Hamburger Morgenpost
Titanic � Schlußbild des Jahrhunderts?
Kein anderer Film machte soviel Eintrittsgeld locker, keinen sahen mehr
Menschen in so kurzer Zeit. Dabei ist der Untergang des Riesenschiffes
im Jahre 1912 ein alter Hut, jeder hat schon Bilder im Kopf davon. Im Jahrhundert
der Weltkriege und Katastrophen, der grandiosen Erfindungen und Funde ist
der Eisberg-Crash nur ein kleiner Unfall. Und doch hat er wohl das Zeug
zum Modell für unsere Zeit. Der Film könnte Schlußbild
dieses grandiosen, fürchterlichen, mörderischen und sehnsüchtigen
Jahrhunderts sein.
Meer und Tod und Liebe sind sowieso Material für Gültiges.
Dazu ein Schiff � jenes flüchtige Menschenwerk, das getragen wird
von dem, was es verdrängt. Und mit diesem zur Stadt im Wasser aufgerüstetem
Schiff macht sich der Mensch die Natur scheinbar vollständig dienstbar.
Die Macher tönen �unsinkbar� � wie sie ja die kleine Erde überhaupt
für beherrschbar und auspreßbar halten. Der ganze Wahnsinns-Optimismus
der zurückliegenden Jahre ist in diesem Technikmonster abgebildet,
und die perfekte und trickreiche Abbildung des Geschehens spiegelt das
Gigantische noch einmal. Das Schneller, Höher, Weiter, Reicher dieser
Zeit muß gegen die Wand knallen, wir wissen es alle. Das Tempo, mit
dem die Herrschaften ein immer größeres Rad drehen, produziert
geradezu die Katastrophe. (Las ich richtig? Der öffentliche Schuldenberg,
in gestapelten Hundertmarkscheinen, ist 420 km hoch � eine Million ist
ein ein-Meter Hunderterpack). Allein, daß wir die Entsorgung des
Atom-Mülls den nächsten Generationen aufbürden, ist geradezu
wie das Plazieren eines Eisberges genau vor das Menschenschiff.
Wir sollten wenigstens die Liebenswürdigkeit von Schiffspassagieren
aufbringen, sagt F. Pessoa. Aber die zerbricht spätestens, wenn jeder
seine Haut rettet, und dann, entronnen, das Unglück vom weitem sieht,
als wäre es nur Film. Kalter Überlebenswille erschießt
die, die mit ins Boot wollen � ähnlich schieben wir die Hungerasylanten
zurück. � Dramatisch gezeigt wurde, wie auch nach Gerettetwordensein
unverbesserlicher Dünkel wieder aufblüht. Borniertheit ist wohl
Sünde total. Sie macht zu Wracks, sie ist Sünde soviel wie Strafe.
Zwei Menschen werden einander zum Schicksal. Sie finden sich schön
und wichtig. Einer gibt sein Leben für den andern. Wer überlebt,
wird mit den andern bei sich halten. Glaubhaft spielt eine alte Dame den
Lebensmut, der aus erfahrener Liebe stammt. Ja, rettendes Wissen liegt
auf dem Grund der Zeit wie die rostige Titanic, kann aber gehoben werden
und neues Leben erwecken: �Liebe ist stärker als der Tod� � auch das
zeigt der Film in süchtigmachenden Bildern und steckt an, zum Überleben
zu helfen.