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Traugott Giesen: Gottesdienst ist nötig, darum ist Kirche nötig                      

Gottesdienst ist ein Nest für Vertrauen, eine Wanderausstellung heilender Bilder, eine Arche aus Worten, Liedern, Zeichen. Gottesdienst ist die Zeitansage, daß wir im Kalender Gottes vorkommen. Eine Woche lang ordnet jeder um sich selbst seinen Terminplan, seine Pflichten, Freuden, Zusammenkünfte, aber im Gottesdienst finden wir Anschluß an das gemeinsame Ganze, füllen unsere Termine, Sünden, Freuden in den Kalender des Ganzen.

Sterbend münden wir in Gott und bringen ihm unsere Ernte. Im Vorgriff legen wir schon nach einer Woche die Beute und Mühe und Erfahrung vor Gott ab. Wir danken, klagen, bitten um Vergebung und erbitten eine neue Woche Zeit. Wir zentrieren, klären, sortieren unser Tun und Lassen, justieren unser Wunschradar neu, schöpfen Kraft für eine nächste Woche und nehmen unsere Lasten wieder auf, bis auf die, die wir loslassen. Wir gehen gesegnet, das heißt getränkt mit Zugehörwissen, gehen dann, hoffentlich, neu befeuert mit Lust zu leben, beauftragt mit Verantwortung in immer weiteren Kreisen. Und haben uns hoffentlich wieder an und vor Gott orientiert.

Der Gottesdienst ist ja die älteste öffentliche Veranstaltung der Menschheit. Und ist immer noch die meist besuchte, meist unternommene, regelmäßige Veranstaltung. Sie dient nicht der Unterhaltung, obwohl sie auch interessant sein muß. Sie dient nicht der politischen Verhandlung, obwohl die öffentlichen Themen mit- schwingen. Sie dient nicht dem Gelderwerb und ist doch Arbeit. Sie ist kein Spiel und doch ein Freiheitsfest.

Im Gottesdienst machen wir eine Zeitreise: In einem Nu steht die Geschichte vor uns vom ersten Schöpfungstag bis zum Jüngsten Tag, wo alles Gelebte dem Punkt Omega entgegenfliegt, in die ewige Gegenwart der Liebe Gottes. Die jahrtausendalte Liturgie nimmt alle Leiden der Erde auf, preßt sie in den Schrei: Kyrie eleison- Herr erbarme dich. Alle Not halten wir Gott vor, aller Zweifel wird zu Gott hingestemmt und dann wiederholen wir die Verheißung der Weihnachtsgeschichte: Frieden auf Erden. Wir werden hineingewirbelt in eine Heilsgewißheit: Allein Gott in der Höh sei Ehr- all Fehd' hat nun (bald) ein Ende.

Texte der Bibel erzählen von den vorangegangenen Zeugen des Glaubens, wie sie Gott und Jesus erfahren haben. Mit den den zwölf ehrwürdigen Sätzen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses benennen wir die Grundlagen unseres Glaubens. In der Predigt nimmt ein Zeitgenosse, meist der Pastor/die Pastorin der Gemeinde das Wort, um vom alten Text zum neuen Leben die Brücke zu schlagen.

Immer soll die Predigt heilende Bilder aufbieten, die uns sehr verschiedenen Menschen Lebensmut einprägen. Das kann gelingen, denn wir haben zwar alle verschiedenen Geschmack, doch alle Hunger. So differenziert wir sind, so gleichermaßen geängstet und der Liebe bedürftig sind wir. So ist die Predigt ein schwieriges aber auch ein hoffnungsvolles Projekt.

Nehmt das Wort Jesu: "In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden, ich bin bei euch" (Johannes-Ev 16,33; Matthäus-Ev 28,20): Manchmal überfallen dich Alpträume, die Last von Bergen, die über dir zusammenstürzen. Auch der "böse Alb" kann bedrängen, Alberich- ein greuliches, lastendes Gespenst oder Menschen in Massen. Auch ganz reale Personen ziehen im Schlaf durch unser Gedächtnis, hinterlassen Schleifspuren gruseliger Schrecknisse, gehen an die Gurgel, setzen uns Stiefel auf die Brust. Dann schrecken wir auf, schweißgebadet, ringen um Luft, sind in Angst, was ja von "Enge" kommt.

Es ist kein Wunder, dieses Träumen. In den tiefen Schichten unseres Bewußtseins sind Brand und Mord und Ertrinken eingegraben. Wie wir am Körper noch die Spuren von Millionen Jahre Geschichte mittragen-die Fingernägel waren früher Krallen, unsere Haare sind der Rest von Fell- so sind die Erfahrungen der Menschheit auch in unsren Köpfen. Da sind viele schlimme Spuren von Horror. Und der geht auf Sendung nachts,wenn unser waches Wissen schläft. Viele Gruselfilme inszenieren geradezu die Drehbücher unseres kollektiven Unbewußten.

Wir alle habe manchmal Alpträume und ganz reale Schrecken. Aber es gibt ein Gegenmittel: die heilenden Bilder: im Depot unseres alten Stammwissens sind auch die Kulissen von Erlösung und Rettung verwahrt. Schutzengel stehen bereit, Brüder und Schwester eilen zu Hilfe, Tiere verwandeln sich in hilfreiche Gesellen. Der Busch verbirgt vor den Räubern. Die alte Frau, der man zuhört, weiß das Rezept. Wir, immer wieder noch auf Kindesbeinen, rufen um Hilfe vor dem bösen Hund; wir rennen zum Vater, der nimmt uns im Schwung auf den Arm. Von oben, in Sicherheit, können wir den Hund verspotten.

Das über alle Maßen heilende Bild stammt aus dieser Vertrauensschicht der frühen Kindheit. Wir haben es wohl mitgebracht aus der Vorzeit, von Gott, vom umfassenden Schützer und Erschaffer des Lebens. Die Eltern sind irdischer Ersatz für diesen liebevollen "Gutenganzen", sie behalten zeitlebens einen Bonus, egal, wie schwierig sie waren. Aber weit über Menschen hinaus reicht unsere Sehnsucht nach Trost und Glück. Gegen das Leid, das Böse, den Tod vermag nur Gott anzukommen. Weil das Böse da ist, ist Gott (T. v. Aquin). Wäre er nicht, dann wären wir mit dem Bösen alleine. Manche sind so verzweifelt alleingelassen von Menschen, daß ihnen auch das heilende Bild "Gott" verätzt ist. Darum ist Jesus so dramatisch hilfreich. Ihm kann ich seinen Glauben an Gott nicht abschlagen (D. Sölle). Ihm nach, an seiner Hand wird uns die Welt nicht verschlucken. Jesus nach kann auch der Geschundene das heilende Gottesbild wiederfinden.

Der Gottesdienst spitzt sich auf mich, dich zu. Du bist nicht Zuschauer, sondern der Schnittpunkt der Wege Gottes. Wie Jesus das Schaufenster Gottes für die Menschheit ist, so bist du eine Filiale dieses Jesus, hoffentlich, An dir kann die Welt ein Stück genesen, an dir kann Liebe entspringen, an deiner Hand kann ein Mensch die Angst verlernen.

Dazu mußt du das Leben als wunderbares Ereignis würdigen können, darfst die Welt nicht für ein Tollhaus und dich nicht für einen Sündenpfuhl halten.

Aber woher nehmen diese gute Sicht der Dinge?

Die Kirche hält den Jesus Christus für maßgebend. Ihn hochhalten, sein Wesen sichtbar, sein Wort frisch halten ist lebenswichtig. Das"Save our souls"- das SOS gegen Menschenverachtung und Seelenzerstörung ist doch gellend zu hören - Jesus als Hirten , Christus als Freund, - nichts Besseres hat die Menschheit aufzubieten. Er ist aus dem Herzen der Welt geschickt: wir dürfen den Jesus Christus nicht verschweigen. Um seinetwillen ist Kirche wichtig. Er sah die Wirklichkeit von Gott in Schwange gehalten.

Christen glauben diesen Jesus als gültige Norm wahren Menschseins in Gott aufgehoben. Seine Gedanken und Taten belichten uns bis heute unsern dunklen Lebensfilm: In der Welt habt ihr Angst, aber von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost was kommen mag, und arbeiten und teilen Freude und weinen und lachen und trösten und spüren die Hand Gottes auch wenn sie manchmal sich hart anfaßt.

Nicht nur der Gottedienst steht dafür ein, daß die Wirklichkeit mit Jes Zuversicht impragniert ist. Unsere Sprache ist voll Spuren biblischer Hoffnung: "es wird gut", Der Tote ist "eingeschlafen", uns ist ein Kind geboren, "Liebe heilt alle Wunden", "behüt dich Gott", "jedes Schlechte hat ein Gutes"- in der Alltagssprache kommt Gott vor. Und in vielen Talkshows wird Lebensmut geboten, Predigt in kleiner Münze.

Auch das Jahr mit seinen Feiertagen predigt: Jesu Geburt, sein Sterben, sein Auferstehen, sein Ausgießen von Heiligem Geist imprägnieren unsere privaten Kalender. Wir tragen unsere persönlichen Ereignisse in das Kalendarium, das immer noch von Jesu Lebenslauf gezeichnet ist und jeder siebte Tag bleibt Tag des Herrn, auch wenn wir ihn verschlafen sollten.

Unser Dasein ist bedroht von Angst. Dagegen hat der Glaube was zu setzen: heilende Bilder. Aber was, wenn wir diese heilende Energie nicht abholen?

Dann bleiben wir gebannt von Meinungen, wie Kinder gebannt bleiben von ihren Fernsehschockern.

Eine Frau , geschieden, aber noch im Haus der Schwiegereltern lebend mit den Kindern, fühlt sich bewacht und wie eine Magd gehalten. "Zur Freiheit hat euch Christus befreit" (Galater 5,1) - das hört sie nicht, weil sie nicht kommt, darum hat sie auch keinen Verbündeteten gegen ihre Unterwerfungsbereitschaft.

Einer trinkt, weil er sich nicht mag. Könnte er im Gottesdienst trainieren, sich mit Jesu, mit Gottes Augen zu sehen, es könnte Verwandlung anheben.

Einer macht Geld, immer noch mehr,- aber eigentlich will er Liebe, will gemocht sein. Der Gottesdienst hilft mir, mich zu finden, und zu tun,was ich wirklich will, hilft mir, meine Ersatzgötter über Bord zu werfen.

Einer teilt immer noch zu, will den Kindern Gerechtigkeit geben und kann es ihnen nie recht machen. Unter Christi Einfluß lernt man aufs herrische Zuteilen verzichten, man gibt den Kindern, was man denkt und sie teilen es selbst.-

Im Gottedienst wird Leben trainiert. Anknüpfstellen intensiver Art bilden Taufe und Abendmahl .

Die Taufe macht dem Lebensfaden einen Kopf (R.Musil). Damit es uns nicht bewußtlos hin und her schleift, schafft uns die Taufe einen Halt. Der Mensch bekommt seinen wirkmächtigen Namen: Hans, Kind Gottes; Grete, Kind Gottes. Nicht weil sich der Mensch zu seinem Glauben entscheidet ist er Gottes Eigen, sondern : "Gott liebt dich und braucht dicht, darum lebst du", ist die Tätowierung deiner Seele, ist die unverbrüchliche Widmung, die jedem Menschen zusteht.

Natürlich sind nicht nur die Getauften Kinder Gottes, aber diese haben von Kirche Brief und Siegel darauf. Bei Taufe eines Kindes werden Eltern in ihren Rang eingesetzt: Zu ersten Mitarbeitern Gottes, zu seinen Kooperatoren werden sie berufen- in ihnen erdet das Geheimnis der Welt eine neue Schöpfung, verkörpert eine neue Idee von sich, wird in diesem Wesen Fleisch. Und die Eltern werden zu Fürsorge, Liebe , Erziehung gefirmt in der Taufe.

Den Eltern werden Paten beigestellt, weil es schon sehr auf die Nebenmenschen ankommt, bei denen ein Wesen groß wird; auch sollten Eltern mit der Patenwahl festlegen, wem sie das Kind im Notfall ans Herz legen. -

Ich weiß nicht, wie Eltern leichten Sinnes auf die Taufe ihrer Kinder verzichten können. Selbst wenn sie ohne Kirche leben, beleihen sie doch deren Glauben. Wie kann man überhaupt noch Kinder ins Leben rufen ohne den Hoffnungsschatz der Christenheit? Es ist geboten, jedem Menschen die Taufe zu gewähren, für den sie verlangt wird.

Das andere heilende Symbol ist das Abendmahl, erinnernd an Jesu Abschiedsessen des Passalammes mit seinen Jüngern. Dabei hat er der Überlieferung gemäß gesagt: "Das ist mein Leib, für euch gebrochen; das ist mein Blut, für euch vergossen" (nach Matthäus 26,26f). Man kann Brot und Wein für Leib und Blut Christi nehmen- In einer Deute-Tradition tritt Jesus an die Stelle des Passalammes, dessen Blut vormals in Ägypten beim Auszug der Kinder Israel an die Türpfosten gestrichen, dem Todesengel bedeutete, dieses Haus sei zu verschonen. Aber evangelische Theologie kennt keine zwingend verbindliche Abendmahlslehre. Wer das Mahl nimmt und weitergibt in der Gewißheit, daß "Christus mitten unter uns ist, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind"(Matthäus 18,20), ist "auferbaut" zum Leib Christi. Keine Lehre, keine Konfession ist Vorbedingung zur Teilnahme am Abendmahl- denn dieses ist auch Vorspiel, Vorahnung des allversöhnenden Mahles Gottes mit seiner Kreatur, dermaleinst.

Direkte Personstärkung geschieht im Beten. Ich rufe mit der Gemeinde zu Gott, dieser allen Menschen zustehenden Adresse für Dank und Klage; ich übe meine Wünsche ein vor dem Weltengrund, frage, ob ich zurecht vermisse; kläre, ob wichtig ist, was ich will. Betend drücke ich endliches Wesen meine unendliche Sehnsucht aus nach meinem unendlichen Ursprung (nach Novalis). Und das "Vaterunser" ist der siebenfach gezwirnte Faden, der die Christenheit umspannt. Selbst wer es nicht mitspricht, ist froh, daß es für ihn mit gesprochen ist. Selbst wer nie eine Kirche betritt, hofft, daß das stellvertretende Beten dort auch für ihn gilt.

"Ich ging in die Messe, wie in ein großes Geheimnis und trat aus der Messe wie auf eine Lichtung", sagt Fernando Pessoa und beschreibt damit auch meine Hoffnung an jeden Gottesdienst: Hier wird das Geheimnis der Welt geahnt, bedacht, angesprochen, gefeiert-und dann trete ich aus der Kirche in die Welt, den Alltag, habe meine Probleme wieder geschultert, aber trete in eine mir gelichtete Wirklichkeit, eine im Werden, eine, die der Zukunft zugewandt ist.

Daß überhaupt Menschen sich aufmachen und auf nicht sehr komfortablen Bänken miteinander singen, beten, hören, denken ist Jahrtausende stärkend gewesen für die Gemeinschaft, daß noch gar nicht abzusehen ist, wie Gesellschaft ohne Kirchgang Zusammen- halt hat.

Auch ist die Prägekraft von ehemals noch mächtig- selbst für Nichtkirchgänger hat der Sonntag eine Aura der Ruhe und des Geschenkes; auch das ist ein Zeichen für die universale Wahrheit des christlichen Glaubens. Noch steht der Gottesdienst für eine Ruhe, aus der die Kraft kommt.

Aber es ist eine Tragik dabei. Die Substanz des Gottesdienstes ist lebenswichtig, aber die getauften Christen boykottieren den Gottesdienst, - weil sie sich langweilen.- Es kann sein, daß sie so sehr an den guten Gott glauben, daß sie meinen, Gott verstehe sie, wenn sie sich es Sonntag lieber gemütlich machen zuhause. Außerdem bietet der Gottesdienst Denknahrung, und die ist ja nicht sehr verbraucherfreundlich aufbereitet. Im Radio soll kein Wortbeitrag länger als eine Minute, dreißig Sekunden sein. Eine Zwanzigminuten-Rede ist völlig altmodisch. Und doch, gratulieren wir uns, daß noch Gottesdienst geschieht.


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