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Dein Wille geschehe

Freispruch zum eigenen Maß

Wir brauchen für unser Zusammenleben Gesetze, Ordnungen, Verhaltensweisen. Wir können nicht die Regeln beim Spiel erst erfinden und umstoßen, je nach Muskelkraft. Das war ein langer Weg zu Geboten, die als Rahmen der Freiheit taugen. Die Grundgebote liegen vor. Die Ausführungsbestimmungen müssen wir je neu verabreden, den verwandelten Bedingungen entsprechend. Gebote, Gesetze, Regeln, sind nötig, damit es mit rechten Dingen zugehen kann. Jeder weiß dann (oder kann es jedenfalls wissen), was im Rahmen des Erwarteten und des Verabredeten liegt. Und gibt es Streit, dann kann man prozessieren, sich bei zur Strafe berechtigter Stelle Hilfe und Schutz holen. Aber gerechtes Recht und Urteil ist �eine knappe Ressource� (Ernst Benda), und wir sollten sie pfleglich behandeln. Ich weiß von meiner Schwäche in Sachen Selbstbeherrschung genug, um Staat, Gesetz und Justiz zu wollen, im Notfall auch gegen mich. Wer Arbeit anderen zuteilt oder Häuser vermietet oder Geschäfte macht oder unterrichtet oder operiert - eigentlich jeder muss Recht zu schätzen wissen zu seines und des anderen Gunsten. Wer fremdes Geld verwaltet, muss Revision nicht nur zulassen, sondern verlangen, und sei es zur eigenen Entlastung. Die eigene Versuchbarkeit - wer sie nicht kennt, ist am meisten gefährdet. Und wer seine Meinung für Wahrheit hält, ist gemeingefährlich. Wir haben höchstens Wahrheitsvermutungen, wir brauchen Gespräch, Beratung, Erinnerung, Ermahnung. Woher nehme ich meine Würde? Vom Rechthaben? Vom Besitzhaben? Nehme ich meine Würde daraus, dass ich begehrt bin?

Jesus war begehrt: �Einer forderte Jesus auf: Sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile! Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbschlichter über euch gesetzt?� Und er sprach zu ihnen: �Seht zu und hütet euch vor aller Habgier, denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.� (Lukas 12,13-15) Jesus belässt es bei der allgemeinen Warnung vor Habgier. Er will nicht Richter sein. Das ist nichts gegen alle Justizberufe. Da kann man viel Ordnung mit besorgen. Ein Gemeinwesen kommt nicht ohne Juristen aus. Aber Jesus will nicht Richter sein. Was steckt dahinter?

Richtet nicht! Das spricht mich an, in meiner Lust, es besser zu wissen, besser zu sein als andere. Und dass diese Lust üblich ist, wissen wir alle. Unsere Leistungsgesellschaft heißt ja so, weil viele es besser machen, vor allem besser wissen wollen. Sie bringen Leistung und wollen zeigen, dass sie sich etwas leisten können. So führen wir den anderen die Symbole von Leistung vor, sei es ein Benz, sei es ein teurer Füller oder eine Incentive-Reise. Wir jubeln uns gegenseitig empor, unsere Gesellschaft hat das Vergleichen und Konkurrieren zur hohen Kunst entwickelt. Aber Jesus sagt: �Richtet nicht!� Und meint: Vergleicht euch nicht, nehmt nicht einander zum Maß. - Warum nicht? Ihr seid verschieden gemeint. Und darum habt ihr ein Recht darauf, ungleich zu sein.

Mütter und Väter wissen davon, auch mütterliche/väterliche Lehrer; drei Meter fünfzig Weitsprung ist für den einen viel, für den anderen wenig. Aber die Kinder untereinander, die Geschwister? Sie wollen Gerechtigkeit. Jedem dasselbe! Natürlich weiß jeder, warum ihm noch besondere Zuschläge eigentlich zuständen. Man zürnt als Ältester schon sehr, wenn bei der Mitarbeit im Haushalt die Jüngeren sich drücken. Da kann man schon zürnen. Doch das sollen wir nicht. Aber Gerechtigkeit hat auch ihren Wert.

Jesus sagt: Tu du das Deine - doch halt dich zurück, andere schulen zu wollen. Schütz andere vor deiner Habgier, schütz dich vor ihrer Habgier, auch ihrer Bequemlichkeit, die ja auch Gier ist, Zeit für sich zu haben auf Knochen anderer. Aber richtet nicht! Zürnt nicht! Wer zu seinem Bruder sagt: �Du Nichtsnutz�, der ist des Gerichts schuldig. Und wer einem sagt: �Du bist ein Narr�, der ist des höllischen Feuers schuldig. Denn �Du Nichtsnutz� richtet ihn hin, �Du Narr, du Blödmann, du Tränensuse, du Schwachkopf� st��t ihn in die Hölle der Verachtung (Matthäus 5,22). Das Elend des Richtens ist, dass wir damit immer die anderen entwerten und klein machen.

Wie aber ablassen von dieser Lust zu disqualifizieren? Wenn wir wüssten, dass der andere keine Macht hat, uns klein zu machen, vielleicht würden wir dann auch auf unsere Schlecht-Mach-Kraft verzichten. Vielleicht würden wir dann unsere patriarchalischen/matriarchalischen Zensurwerkzeuge abrüsten. Vielleicht würden wir dann verzichten auf das Privileg, zu loben und zu tadeln. Diese Verwandlung, diese Entwaffnung von Zensurwerkzeugen kann uns passieren, wenn der einst gefürchtete Vater zahnlos und gütig wird und die einst eindrucksvolle Mutter endlich dankbar. Und wenn der geliebte und gleichzeitig gefürchtete große Bruder seinen ersten Herzinfarkt bekommt und wenn der schönen Schwester die Ehe zerbricht. Dann, wenn sie endlich einmal nicht mehr weiter wissen, die sonst immer sagten, wo es langgeht, wenn sie zu Bittenden werden, dann kann Barmherzigkeit in uns aufblühen.

Aber Jesus sieht noch ein anderes Treibmittel, um von diesem Richten und Vergleichen abzukommen. Unser Gewissen will ja einen ganz anderen Freispruch als das Urteil der anderen. Was nützt es mir, wenn mein Kumpel mich für toll hält, nur weil wir zusammen ein krummes Ding gedreht haben? Ich weiß doch, dass ich ein mieser Typ bin. Auch wenn andere nicht besser sind, schäme ich mich doch meiner grausamen Gedanken und Taten. Denn du, ich, wir sind ja innen an Gott angeschlossen. In uns hängt ein Mikrofon von Gott her. Vater, Mutter, Lehrer, Chef, die alle kann man überlisten, aber Gott weiß! Und du und ich wissen, dass Gott es weiß. Und gegen Gott kann nur Gott helfen. Dein Gewissen verklagt dich bei ihm, doch Gott umarmt dich und schluckt deinen Gewissensmüll. Und schickt dich wieder los, immer noch mal: gib dich aus, gib dich rein ins Zusammenleben, knüpf noch mal an, versuch noch mal, auf Frieden hinzuwirken mit etwas weniger Habgier als gestern. Aber immer kommen wir wieder mit der Beute von Gut und Böse beladen. Jeder Tag endet so. Doch Gott ist immer da und sammelt nachts die Scherben auf, so dass wir morgens noch einmal beginnen dürfen.

Darum eigentlich ist mein Richten anderer wirklich anmaßend. Ich weiß doch von mir genug, um zu wissen, dass meine miese Seite wirklich ein Balken im Auge ist, gemessen an dem Splitter, den ich beim anderen sehe (Matthäus 7,3). Wir sind mieser, als der andere das weiß. Unsere chaotischen Träume, unsere gewalttätigen Gedanken sind doch Realität. Und Gott weiß sie auch. Und Gott liebt dich mit deiner durchwachsenen Realität. Das ist der Kredit eines glücklichen Glaubens. Wer von ihm getragen ist, muss den anderen nicht herabsetzen, kann jedem sein eigenes Gewissen und seinen eigenen Spielraum, sein eigenes Muster von Pflicht und Freiheit lassen. Einer denkt genauer, der andere großzügiger, einer gibt und nimmt bis zur Schlampigkeit, und der andere hält seine Sachen zusammen und schont sie und belästigt möglichst auch keinen, tut sich aber auch schwer, sie auszuleihen ... Ein Kind will immer seine eigenen Kleider und seinen eigenen Kleiderschrank, und das andere greift in einen Schrank und zieht an, was es braucht; so verschieden sind wir.

Die verschiedenen Gewissensmuster kommen aus Erziehung, Erfahrung, Familienkonstellation und Erbe. Und aus verschieden geformten Träumen vom Paradies! Der eine träumt sich auf eine einsame Insel, der andere träumt ein Schiff voll Freundinnen und Freunden.

Die ersten Christen in Rom vor bald zweitausend Jahren wollten mit Jupiter und Mars und wie die Tarnnamen für Gott damals auch sonst hießen, nichts zu tun haben. Und da gab es Christen, die kein Fleisch aßen, weil es möglicherweise von Götzenopfertieren stammte. Paulus sagt: �Ich bin gewiss in Jesus Christus, dass nicht unrein ist an sich selbst. Nur für den, der es für unrein hält, ist es unrein. Wer aber zweifelt und dann doch isst, der isst es sich zum Gericht, denn es kommt nicht aus Glauben; was aber nicht aus Glauben kommt, ist Sünde. Habe du deinen Glauben vor Gott und dein Maß vor Gott. Lass andern ihr Maß; wer aber bist du, dass du das Maß eines anderen richtest? Er steht oder fällt seinem Gott, und Gott wird ihn aufrecht stehen machen.� (Römer 14)

Darum: ohne zu richten, ohne mich mit anderen zu vergleichen, das tun, was ich für gut erkannt habe im Sakrament des Augenblicks. Gott vergleicht auch nicht; er gleicht aus. Das ist meine und deine Chance, und du und ich, wir werden genießbare Menschen.

Predigt aus St. Severin, Keitum; veröffentlicht in: Traugott Giesen - Vater unser in Ewigkeit. Amen - Radius-Verlag, 1993, vergriffen.


 




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