Keitumer Predigten   Traugott Giesen   14.04.2002

Leid ist nicht Strafe, nicht Prüfung. Leid ist Mangel

"Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, gelobt sei der Name des Herrn."
Mit diesem Wort des Hiob (1,21) hat Herr Kirch seinen Konkursantrag gestellt, den er schließt mit "Gottes Segen". Anrührend, so scheint's, diese Geborgenheit, die auch Irrtümer und Fehlkalkulationen einschließt.

"Von guten Mächten wunderbar geborgen" konnte auch Dietrich Bonhoeffer beten im Gefängnis, beim Warten auf seine Hinrichtung durch Hitlers Staatspolizei.

Der Dulder Hiob beschließt, sein Leid nicht empört Gott vorzuwerfen, er willfährt seiner Frau nicht. Die schmeißt den Glauben nach dem Tod der Kinder und Verlust aller Habe. Als Hiob dazu noch geschlagen wurde mit Geschwüren von der Fußsohle bis zum Scheitel rät sie ihm zu kurzem Prozeß: "Was hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Sag Gott ab und stirb" (2,9). Hiob aber antwortet: "Haben wir Gutes empfangen von Gott, sollten wir das Böse nicht auch annehmen?" (Hiob 2,10). Erst als die Freude Eliphas, Bildat und Zofar dem beladenen Hiob vorrechnen: "Wo Leid ist, da ist Strafe, wo Strafe ist, ist Schuld" - da bäumt sich Hiob auf: "Weh euch, die ihr meint, Gott in eurer Faust zu führen!" (12,6) Wohl wahr, "In seiner Hand ist die Seele von allem, was lebt" (12,10), "sein ist die Kraft und die Einsicht. Sein ist der irrt und irreführt" (12,16). "Aber wenn er mich strafte, dann hätte er Unrecht" (19,6). "Ich rufe Gott als Anwalt gegen den Strafer. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt" (19,25). "Gott ist mächtig und verwirft niemanden; er ist mächtig an Kraft des Herzens" (36,4). "Der Elende wird durch sein Elend gerettet, ihm wird das Ohr geöffnet durch Trübsal. Er reißt dich aus dem Rachen der Angst in einen weiten Raum, wo keine Bedrängnis mehr ist" (36,15 f). "Er gibt dir Lobgesänge in der Nacht" (35,10). "Und an deinem Tisch voll von allem Guten, wirst du Ruhe haben" (35,16). So Worte des Hiob.

Hiob lebt, dass durch Elend hindurch er gerettet wird. Er muß durch finsteres Tal hindurch, aber nicht ist das Elend verhängt als Strafe. "Aha, Leid - also Strafe, also Schuld" - diese Logik zerbricht an Hiob. Und an Hiob wird hinfällig auch das zweite Motiv: Leid komme über uns als Glaubensprüfung. Das alte Märchen geht ja so, dass Gott mittels eines Teufels testet, ob Hiob nur an guten Tagen an Gott glaube. Aber Hiob hält das für Theologenmüll: Es ist doch auf der Hand: "Was ist der Mensch, dass du ihn groß achtest, und dich um ihn bekümmerst?" (7,17) "Habe ich gesündigt, was tue ich dir damit an, du Menschenhüter? Ich bin mir doch selbst zur Last, lass meine Schuld dahingehen, denn gar bald fahr ich zur Grube" (7,20 f).
Ja, wirklich, was gibt es da groß zu testen? Wir sind doch hinfällig, versuchbar bis dort hinaus, wenn Gott uns versuchen wollte, wie sollte einer bestehen? - "Wie sollte etwas bleiben, wenn du nicht wolltest? Oder wie könnte sich halten, was du nicht gerufen hättest?" (Weisheit 11,25).

Leid zur Strafe? Mittels Hiob zerreißt Gott diese Rechnung. Es ist viel Leid in der Welt und ist nicht Strafe, - meist sind es die Folgen unseres Tuns. Und das Leid ist nicht Materialprüfung. "Gott weiß, was für ein Gebilde wir sind. Er weiß, dass wir vom Staub genommen sind" (Psalm 103,14). Nur "Sein Geist hilft unserer Schwachheit auf" (Römer 8,26). Und doch sahen und sehen sich Menschen von Gott auf den Prüfstand gestellt.

Zu den größten Menschheitserzählungen davon gehört die Geschichte von Isaaks Opferung.
1. Mose 22:
"Gott sprach zu Abraham: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.
Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.
Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.
Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt. Und Abraham nannte die Stätte "Der HERR sieht". Und der Engel des HERRN rief Abraham abermals vom Himmel her und sprach: Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der HERR: Weil du solches getan hast und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont, will ich dein Geschlecht segnen und mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und durch dein Geschlecht sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden."

Diese Zumutung, weiß ich, war nicht von Gott. Gott verlangt keinen Mord. "Du sollst nicht töten", ist sein Gebot. Das historische Material dieser Geschichte ist ja der gewaltige Schritt der Menschheit nach vorn: Das Menschenopfer, bei Israels Nachbarvölkern weiter gang und gäbe, wird in Israel durch das Tieropfer ersetzt, eben in dieser Rettungstat Gottes an Isaak. Und doch wird diese Geschichte noch immer von Menschen hergenommen, um einen Kadavergehorsam zu verlangen und zu bringen. Menschen machen Krieg, geben sich hin in heilige Pflicht. Halten sich für gottgehorsam, wenn sie ihr Leben oder das ihrer Kinder oder ihrer Feinde hinschlachten. Aber Gott will keinen Mord, auch nicht als Treuetest. Das Leid in der Welt ist da, aber nicht zur Strafe. Und nicht zur Erprobung, nicht zur Bewährung.

Damit fällt dahin, Gott die Schuld zu geben für das Leid. Diese miese Tour, schon von Adam an: Die Frau, die du mir gegeben hast. Und Eva: Die Schlange, verführte mich - dieses Missbrauchen Gottes als Schuldigen für das Böse in der Welt ist doch, um uns freizusprechen, uns zu entschulden, uns wegzudrücken aus der Verantwortung für so viel Leid.

Leid ist, weil Freude ist. Es gelingt so viel und ist noch Mangel in der Welt. Es kommen Kinder zur Welt und schrecken zurück. Liebende müssen sich lassen, weil hier alles endlich ist. Unfälle geschehen, Mord und Totschlag. Katastrophen fallen auf Mensch und Natur. Es ist so, dass das Leben Opfer kostet. Schweiß, Blut, Tränen, Erschöpfen, Vereinsamen, Erkranken, Verzweifeln bis zur Lebensflucht. Und Schuldigwerden, aus Ungeduld, Nachlässigkeit, Habgier, Ausnutzen, Rache für verlorene Ehre, Quäl-Lust, Verwahrlosung, Hunger, Strafsucht, Langeweile, Leid aus Lebensverachtung, Menschenverachtung, Gottesverachtung.
Das meiste Leid fügen wir uns zu. Und Gott leidet mit, mindestens wie Eltern, die zusehen müssen, wie Geschwister sich hassen; oder wie Kinder, die weinen, dass ihre geliebten Eltern sich niedermachen.

Leid soll nicht sein, Mangel soll nicht sein. "Erlöse uns von dem Übel" - diese Bitte ist uns aufgegeben. Vor uns Heilung: wenn auch zuletzt nur durch den Tod hindurch wird Gottes Herrlichkeit offenbar werden (Johannes 9,3). Bis dahin: Statt Leid zu bereiten, "Selig, die Leid tragen" (Matthäus 5,4): Leid also abtragen, wegtragen, Situationen verwandeln zum Besseren. - Ein weites Feld: dass Wenigere hungern, Wenigere arbeitslos rumsitzen, Wenigere sich zwangsverpflichtet sind, Wenigere sich emporstemmen durch Schäbbigmachen anderer.
Du, wisse dich in einem guten Ganzen, mit den Beschädigungen und mit Mangel, auch mit Abschied und Trauer und Schuld. Alles ist diesseits Gottes. Letztlich passiert alles in seinem Haus, verwendet seine Energien, gebraucht und missbraucht seine Macht. Darum: "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen" - wenn's in Demut gemeint ist, gut. Aber gesagt beim Konkurs, kann es das eigene Versagen verwischen, den eigenen Größenwahn verdecken wollen.

Alles ist Gabe, Geschenk, Anvertrautes auf Zeit - und kann nicht ewig dauern, wir müssen uns erproben, erfahren, müssen entscheiden, wer wir sein wollen. Müssen uns häuten, müssen auch die Nabelschnur zerschneiden und die Kinder wahrnehmen als Freigesprochene zu sich selbst. Wir müssen voneinander lassen, um uns wieder zu finden in neuer Gestalt. Gelobt sei der Name des Herrn. Amen

Schlußgebet

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