Keitumer Predigten   Traugott Giesen   03.08.2003

Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; er wird es wohl machen (Psalm 37,5)

"Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; er wird es wohl machen" ist wohl der beliebteste Konfirmationsspruch: für einen guten Lebensweg sollen wir unsere Schritte mit Gott absprechen. Eine starke Gewissheit: „Mein Weg, meine Zeit steht in deinen Händen“ (Psalm 31,16), und: „Gott führet mich auf rechter Straße, um seines Namens willen. "Ob ich schon wander im finsteren Tal, fürcht ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich" (Psalm23,3). Diese Getrostheit ist es auch, die Jakob im Traum empfing: (1. Mose 28,15) „Siehe ich bin mit dir und will dich beschützen, wo du hinziehst.“ Das ist für einen Nomaden, wie Jakob es war, lebensrettend. Er wohnte in Zelten, zog hin, wo seine Herden Futter fanden, musste einen Schutz bei sich wissen, um in der Fremde seinen Lebensunterhalt zu suchen. Und weiter gefasst: "Du tust mir kund den Weg zum Leben, du stellst meine Füße auf weiten Raum" (Psalm 16; 11; 31,9). Dazu das Gebet (Lukas 1,79): "Ja, lenke unsere Füße auf den Weg des Friedens". Die Einladung, überall Zuhause zu sein, heißt so: „Nun sind wir nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen (Epheserbrief 2,19). Und das geheimnisvolle Großwort des Jesus Christus: „Ich bin der Weg“(Johannes 14,6).

Wir sind noch nicht ganz, wir sind noch im Werden. Wir sind noch nicht da, wir sind noch auf dem Weg, auf der Lebensbahn, unsere Schritte sind tastend oder ausschreitend, wir machen Umwege, Irrwege, gehen auch im Kreis, in Sackgassen und Holzwege, wo uns aber auch Beute zufällt unter Mühen.

Suchen wir Arbeit, verlangen Menschen von uns einen Lebenslauf. Da soll man ablesen können, wie man und zu was man es gebracht hat. Der Weg zieht sich, "wenn es hoch kommt sind es 80 Jahre, und wenn es köstlich gewesen ist, dann ist es Mühe und Arbeit gewesen-  letztlichfähret es schnell dahin, als flögen wir davon" (Psalm 90). Ein Gefährte wäre gut, der mit einem die Gefahr teilt, und Freunde zum Beraten und Feiern und für die Not. Immer mehr Gespür soll uns zuwachsen, wie man aus wenigem mehr macht. Und wo im Unwegsamen eine Straße machbar wäre, und du bahnst dir und anderen Wege in der Gefahr. Am Ende unseres Lebens - ach, könnten wir doch einen Lebensbogen abgeben, dessen wir uns nicht schämen müssen, der uns wenigstens bescheinigt: „Man hat sich bemüht“ - das wäre gut. Denn wir sind doch auf eine unvermeidliche Reise geschickt mit Zeugung und Geburt und Erziehung und Werden und Wachsen und wieder klein werden und den Löffel mal abgeben und unser Fahrtenbuch auch. Dann, wenn wir hier nicht mehr wollen. Das Fahrtenbuch unseres Lebens wird unsere Begegnungen, Bündnisse und Trennungen verzeichnen, unsere Kreuzungen und Entscheidungen, unsere Taten und Untaten, - und einige wichtige Ereignisse haben sicher mit Reisen zu tun.

Reisen sind ja konzentrierte Lebensstrecken, sind Merkwege auf dem Lebensweg. Zu den zwanzig Ereignissen unseres Lebens, zählen sicher einige Fahrten und Reisen. Oder bist du nie von Zuhause weggekommen? „Der Mensch muss Vater und Mutter verlassen“ (1. Mose 2,24) - so fängt das Erwachsenwerden doch an. Und wie viele Liebende fanden sich auf Reisen, und wieviele Wege kreuzten sich auf Reisen. Wieviele Erfahrungen haben wir buchstäblich erfahren:

Reisen war ja früher weite Wege gehen auf den eigenen zwei Beinen. Nackte Not treibt von den Eltern weg, der kluge Esel der vier Bremer Stadtmusikanten sagte es so bündig: „Etwas besseres als den Tod finden wir allemal.“ Im frühen Christentum gab es zwei Arten von Pilgerreisen: “für Gott wandern“ (ambulare pro Deo), nach dem Vorbild Christi oder Vater Abrahams, der die Stadt Ur verließ nur mit der Verheißung Gottes: Mache dich auf in ein Land, das ich dir zeigen werde. Und er lebte in Zelten, nur ein Stück Erde, die Höhle Makpela, die kaufte er sich früh als Gräbstätte. Und die Kinder, Enkel, nächsten Generationen blieben unterwegs, kamen in Hungersnot mal in Ägypten unter, irrten durch die Wüste Sinai, bis sie endlich kamen in ein Land, da Milch und Honig fließt. Die zweite Art zu reisen, war die Pilgerreise als Bestrafung: wenn man eines „enormen Verbrechens“ (peccata enormia) für schuldig befunden war. Dann war einem die Rolle des wandernden Bettlers verschrieben - mit Hut, Geldbeutel, Stock und Abzeichen - um auf der Strasse sein Heil zu suchen. Der Gedanke, daß nicht sesshaft Umherziehen Gewaltverbrechen wiedergutmache, geht auf die Pilgerschaft zurück, die Kain auferlegt wurde, um den Mord an seinem Bruder zu sühnen (Chatwin, Traumpfade). Nirgends sonst ist man der Gunst der Stunde und der Güte von Mitmenschen so ausgesetzt. Was übt mehr die Auskömmlichkeit mit Menschen und das Zurechfinden im Leben, als das Losgehen, das auf der Walz sein, das sich nützlichmachen, wo einen der Hunger hintreibt.

Die Reisen heute mit Kreditkarte und Impfpass, auch wenn es weiter weg geht, laufen zum Glück in geordneten Bahnen, mit geregelten Fahrplänen, und pauschaler Buchung alles Nötigen. Dann kommt man in die Fremde wie zu Bekannten, man kann auch seine Privaten haben, seine kleine Wohnung auf Fahrt bewohnen , am komfortabelsten zu Schiff. –

Was uns reisen macht, freiwillig, ja was ist das? Ist es noch immer die Ahnung, etwas abzubüßen, etwas Schuldiggebliebenes jetzt zu leisten, sich jedenfalls das Nachhausekommen dürfen verdient haben? „Das schöne endlich aufbrechen und los“ ist auch ein zeitweiliges Entrinnen und Entkommen. Aber wesentlich: wir haben ein Wunschbild der Fremde in uns, es ist ein Heimatgefühl, das ortlos ist. Es hängt weniger an vertrauten Menschen, und gewohnten Orten, sondern ist ein geheimes Freundschaftswissen, ein stilles Vertrauen, dass wir zusammengehören, und wenn wir „klug und ohne Falsch sind“ (Matthäus 10,16) das tägliche Brot schon finden. Wer ist meine Mutter, meine Brüder? fragt Jesus und sagt: „Die sind meine Mutter, meine Geschwister, die den Willen meines Vaters im Himmel tun“ (Matthäus 12,49f). Also Gutes tun, das ernährt dich, wo auch immer. Oder du bringst Erspartes mit, also Gutscheine von Gutgemachtem, mit denen wir gute Tat einlösen können. Was ist Geld anderes als Anrechtscheine für Leistungen, die Menschen gerne erbringen, damit sie ihrerseits Anrechtscheine für Notwendiges haben.

Reisen aus Freude, woran? Wir haben ein Wunschbild der Fremde in uns, das auch gespeist ist durch Bilder und Erzählungen. Wenn dann noch die Reise geht in die Gegenden unserer Kinder-Abenteuer-Geschichten, dann wird das Wunschbild doppelt aufgeladen durch vergoldete Erinnerungen. Mancher reist, um das Fremde zu erfahren und zu erforschen, auch um Heilsames auszuteilen, Erste Hilfe oder Entwicklungswissen oder um den Austausch von Waren anzurühren - ein Dank mal an alle Kaufleute dieser Erde, die die Güter der Völker über Grenzen brachten, auch Medikamente, aber auch Krankheiten. Ein Mensch bat darum, dass die Aboriginees Australiens arm bleiben dürfen, die einzige Rettung vor der Moderne. Aber wer die Bilder von schnellen Autos im Fernsehen sah, wie kann der bei den Traumpfaden seiner Ahnen es sich genügen lassen?

Wir reisen meist aus Interesse, unsere Bilder der Fremde wiederzufinden. Wieviele Bilder von Pyramiden haben wir schon gesehen, ehe wir einmal, das erste mal eine Pyramide aufleuchten sehen und sie umschreiten und anfassen können. Oder Rom, wie oft war der Papst in unserm Wohnzimmer, und einmal geht man durch seine Hauskirche, sieht den Prunk, die Macht der Römisch-Katholischen Kirche handgreiflich, wie sie einen nicht erhebt, sondern niederzwingt. (St.Severin erhebt, St Peter zwingt in die Knie).

Wir reisen auch, um Zeit anders zu erleben, nicht das Fließband des Alltags, sondern als gefüllte Zeit, im bewegt, verändert erscheinendem Raum. Wir fühlen Zeit vergehen indem Räume vergehen und vor uns wegfliegen.

Reisen ist auch die Erfahrung meines eigenen Begeistertseins, das noch verstärkt wird durch einen lieben Mitreisenden oder eine passende Gruppe. Daher der Mythos um die Hochzeitsreise: Die zwei sehen und fühlen gemeinsam, sehen zugleich, erleben das Begeistertsein des andern mit, - hoffentlich.

Und Leben ist selbst eine Reise: wir müssen uns Ziele stecken, wir müssen weiter, wir sagen im Glück zum Augenblick: Verweile doch, du bist so schön. Aber nichts ist von Dauer - auch die Reise nicht. Wir müssen und wollen nach Haus. Das ist wieder so ein doppeldeutiges Bild. Denn wir haben auf Erden kein Zuhause, „wir bauen hier so feste und sind doch fremde Gäste, und wo wir sollen ewig sein, da bauen wir so wenig ein“. Unsere Bleibe hier ist was Vorläufiges. Wir wollen hier Halt haben, an den Sachen, den vertrauten, aber in hellsichtigen Augenblicken – in einer warmen Nacht auf Deck, oder in Namibia und die Sterne schimmern wie Diamanten auf schwarzem Samt - was braucht man alles nicht.

Reisen füttert Energie zu, noch einmal loszulegen und aufzubrechen, Tapetenwechsel, auch Themenwechsel, auch dem Anvertrauten vielleicht in neuen Kleidern wieder ein Gefühl mehr wert zu sein. Die Räume und Gegenden wandeln sich - wandeln wir uns auch auf Reisen?

„Es wäre besser, ich käme gar nicht wieder, wenn ich nicht wiedergeboren zurückkommen kann“ sagt Goethe auf seiner Italienischen Reise. Aber wieder neugeboren werden - das ist Tun des Heiligen Geistes, das muss uns widerfahren: Daß Gott mich führt auf rechter Straße, in mir Enthusiasmus erregt, in Gott mich wissen, beflügelt vom Wehen des guten Geistes, staunen wie wunderbar Lebendürfen ist, auf rechtem Weg, also ohne Falschspiel, und eingedenk des Unrechts, mit dem auf dieser Erde Dienste erzwungen werden.

Reisen ist Ausgeliefert sein an viele Menschen, die mich transportieren und ernähren und bedienen - inklusiv den Taschendieben, die auch ihre Tageseinnahmen erzielen müssen. Reisen ist Nähe suchen, wo wir doch eigentlich sehr wählerisch sind mit Nähegeben. Reisen lehrt uns provisorisch zu leben, und sich widmen dem Augenblick, der nie wieder kommt. Und ich werde auch so nicht mehr noch einmal sein. Ich auf dem Weg, hier meine Lebensaufgabe fertig zu machen: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Reisen ist unterwegs sein - ein getreues Abbild für Leben insgesamt: wir sind hier auf dem Weg, ganz zu werden, ohne wegzulaufen, wem wir verpflichtet sind. Reisend lernen wir, zu gegensätzlichen Meinungen Brücken zu bauen und höflich miteinander zu bleiben, dass Reibung gedämpft wird, und wir uns nicht breit machen - wenig drängeln - machen, dass es geht, und der Weg kommt entgegen.

Reisen wollen wir auch, weil die großen Bauwerke und Gegenden der Erde was mit unserm Inneren Verwandtes haben. Das Meer ist doch ein Spiegel unserer unendlichen Sehnsucht, die Wüste ein Spiegel für unsere Eintönigkeit, die prangenden Gärten ein Bild für unsere dankbaren Seelen. Und die schönen Bauten stärken unseren Willen, selbst was Schönes zu bauen. Eine Straße im Unwegsamen, macht uns Mut, für unser Unwegsames auch eine Straße zu sehen. Rosen bemerken, sie blühen ohne warum. Das macht dein Ich gerne leben, auch ohne dass es weiß, warum. Reiselust kommt zuletzt davon, dass unsere Seele unruhig ist. „Unruhig bleibt mein Herz in mir, bis es ruht, Gott, in dir.“ (Kirchenvater Augustin). Amen

(Anleihen u.a. bei Ernst Bloch, Cees Nooteboom)

Schlußgebet

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