Traugott Giesen Kolumne 27.07.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
In den Urlaub, in den Tod, wohin?
Sie haben nichts gespürt, nicht gelitten. Sie stürzten aus
der schönsten Vorfreude von hier weg. Sie sind im schlimmsten Falle
ausgelöscht, oder � und ich hoff es mit allen Fasern � im Heil, in
der Liebe, vorweggenommen in ein Haus von Licht.
Sie, die 114 Frauen, Männer, Kinder hatten noch so viel vor. Sie
waren gerade noch beschäftigt mit dem Ausschnitt von Wirklichkeit,
den sie zu bestellen hatten. Und alle hatten noch viel vor: Die Kinder,
verpuppt noch in ihre Eigentümlichkeit, die noch so wenig ihrer Lebensglut
ausgeben konnten; die Piloten, stolz auf ihren grossen Vogel, bis er ihnen
zum Grab wurde; die Stewardessen, mütterlich hatten sie zu Wohlgefühl
verholfen den Männer und Frauen, die sich lange gefreut hatten auf
eine Krönung ihres Fleisses; und welche suchten im Hotel eigentlich
nur Ruhe. Alle starben in einem Nu, und wollten eigentlich in die Ferien
oder nach Hause oder zum Essen, wollten lachen, lieben, tun und lassen,
hatten noch viel Verwandlung vor, dachten sie; meinten, sie hätten
noch viel Zeit.
Doch sie hatten auch eine Vorahnung der Grenzen des Glücks, wie
wir bei jedem Flug. Darum ja das hochgemute und zugleich zitternde Gespanntsein
bei jedem Start zumindest, weil noch das Landen offen ist, wie und ob überhaupt.
� Und es presste sie in die Sessel, sie hielten und krallten aneinander,
in einem Augenblick wurden sie zuende geboren. Sie sind nicht mehr hier,
das Vorläufige ist hinter ihnen. Ich bete für sie, dass sie im
Heil sind. Ich bin von Zukunft für sie überzeugt, dort �wo Fried
und Freude lacht�, wie ein Lied es singt.
Für die Zurückbleibenden bete ich, dass sie nicht vom Leben
abfallen. Ungeheuerlich ist das Weggeschlagensein für Allernächste.
Im Bruchteil einer Minute ist alles in der Schwebe; der Lebensmittelpunkt
ist fort, aber nur allmählich sinkt das Bewusstsein vom Tod in uns
ein; man weiss nicht, wie die Dinge ihren Lauf nehmen sollen. Und draussen
strömt der Verkehr und das eigene Herz schlägt beharrlich.
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