Traugott Giesen Kolumne 04.03.2006 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Fasten hat Sinn - aber mach deins

Himmel und Erde

von Traugott Giesen

Das Wort "fasten" hat das Wort "fest" in sich. Sicher, ein paar Kilo Lebendgewicht weniger nützen den meisten, sie machen das Fleisch fester. Aber welcher Verzicht ist wichtig, nötig, heilsam? Und zwar dir? Früher war das Leben Jesu das große Vorbild. Vierzig Tage vor Ostern war Passionszeit, sie sollte den Menschen das Leiden und Sterben Jesu nahebringen. Berühmt waren die Asketen der frühen Christenheit, die mit dem auszukommen suchten, was sie in der Wüste fanden.

Behutsame Askese lehrte dagegen der Heilige Franziskus von Assisi, seine Sanftmut des Herzen war beglückend für viele. Eines Nachts, während er und die Klosterbrüder schliefen, schrie plötzlich einer: "Ich sterbe, ich sterbe!" Da erhob sich der heilige Franz und sagte: "Steht auf und macht Licht!" Und dann: "Wer hat da gerufen: "Ich sterbe'?" Der Betreffende meldete sich. Franz fragte: "Was hast du Bruder, daß du meinst, du stürbest?" Der: "Ich sterbe vor Hunger."

Da ließ Franz sogleich den Tisch decken und lud alle ein, Platz zu nehmen - daß der eine sich nicht zu schämen brauchte, allein zu essen. Dann sagte er zu allen: "Jeder soll auf seine Natur achten. Wenn einer mit weniger Nahrung auskommt als die anderen, so soll der jenige, der mehr braucht, sich nicht gewaltsam nach dem Maß des andern richten wollen. Denn Gott will Barmherzigkeit und nicht äußere Opfer."

Doch es blieb lange beim Hohelied der Kirche auf das Fasten, nicht zuletzt, um die irre Völlerei der Reichen einzuschränken. Verzicht auf Fleisch und Alkohol war in den Fastenmonaten geboten. Wer sich daran hielt, durfte sich gute Werke gutschreiben. Aussicht auf Belohnung dermaleinst konnte den Mangel erträglicher scheinen lassen.

Luther entzog dann dem Fasten den Sinn, als er die Gottgefälligkeit aus guten Werken durchstrich: Wir können uns Gott nicht lieb Kind machen durch Leistung. In aufgeklärten Kreisen verlor sich das Fasten als Tugend, es blieb und bleibt Zeichen für nackte Not rund um die Erde.

Und es bleibt eine Rettung des Geistes. Sieben Wochen ohne ist eine Bewegung, die zu freiwilligem Verzicht lockt und um sich selbst Gutes zu tun. Die Weisen der Menschheit preisen den, der mit wenig auskommt. Und darum auch sich wenig Anforderungen unterwerden muß.

"Es kommt darauf an, was man von sich wegräumt, nicht so sehr, was man tut, als was man von sich entfernt hat" - so Elias Canetti. Bescheiden, selbstbeherrscht, verzichtbereit leben in weiten Raum der Freiheit und Verbundenheit - das wäre ein Bild für den geistvollen Menschen heute. Der tiefste Sinn des Verzichtes ist das Erbarmen mit denen, die entbehren. Erstaunlich, was Menschen an Mühe auf sich nehmen, beim Schleppen zu vieler Pfunde, beim Abrackern für Fitneß, beim Rundumversorgen, Behüten und Qualifizieren des Nachwuchses. Doch was ist meins, was deins? Zuviel Tabletten, zuviel Sitzen, zuviel Fernsehen, zuwenig Besuche im Altenheim, zuwenig Teilnahme an Bürgergeschick, zuviel Geiz, zu wenig "Brot für die Welt" - eigenes Verkümmern durch Geistlosigkeit? Jeder muß sein Maß finden, seinen Ton, seinen Verzicht. Sieben Wochen ohne einen anderen zu reglementieren. Das wäre auch was.

Traugott Giesen war Pastor in Keitum auf Sylt. Er schreibt in unregelmäßigen Abständen sonnabends in der WELT.

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