Keitumer Predigten
Traugott Giesen 10.09.2000
Der Grund des Glaubens
Jesus Christus hat viele Seiten. Einmal
zeigt er das Gottvertrauen. Er zeigt es in den Geschichten und bezeugt
es. Andrerseits begründet er den Glauben, seinetwegen glauben wir.
Einmal ist er Zeuge, teilt uns mit, andrerseits ist er Grund, er bewirkt
in uns Glauben. Wie aber wurde Jesus, der Zeuge des Glaubens, zum Grund
des Glaubens? Erst verkündigt Jesus das Reich Gottes, dann verkündigt
die Kirche den Christus. Dazwischen Tod und Auferstehung � eins endet,
eins beginnt. Es endet Jesu Lebenslauf, es beginnt der Herr Jesus Christus
unter anderem mit Kirche.
Es sah nicht danach aus, dass überhaupt
etwas weitergehe mit Jesus. Zu schmählich schien sein Ende: gekreuzigt
als Aufrührer und Gotteslästerer, zwischen zwei andern, normalen
Straffälligen. Einige Frauen, darunter seine Mutter Maria, beweinen
ihn, einzelne Jünger schienen in Sichtweite noch geblieben zu sein,
später wohl Bergung des Leichnams in ein Grab. Unbeteiligte sahen
es so: Ein guter Mensch mit starken Gedanken über Gott geriet in die
Mühlen von Politik und Tempel, dann kurzer Prozess, die Anhänger
flohen. Es sah nichts danach aus, dass noch was nachkomme.
Jesus hatte die Fischer Simon, Andreas,
Jakobus, den Zöllner Matthäus, Judas, mutmasslich Widerstandskämpfer,
und andere von ihrer Arbeit, ihren Familien weggerufen auf einen Weg. Eine
Wanderkommune war um Jesus entstanden, auch Frauen gehörten dazu;
sie zogen durch Galiläa, und priesen den Gott der Liebe. Sie lebten
Jesu Erkenntnis: �Das Himmelreich ist mitten unter euch im Anbruch� (Lukas
17, 21). Als Jesus aus ihrer Mitte weggerissen wurde, flohen sie alle,
der Freundeskreis stob auseinander � die Fischer gingen wieder an den See,
der Zöllner wohl wieder an seine Schranke, nur die Frauen bleiben
dem Grabe nah.
Ein über den Tod hinausweisender
Auftrag scheint nicht erteilt, kein Programm, etwa zusammen zu bleiben,
war gegeben; es gab keinen Auftrag, unter neuer Leitung die Ideen weiter
zu tragen. � Nur ein Wort scheint zu Lebzeiten ein Zusammenbleiben über
den Tod hinaus überhaupt angedacht zu haben: Beim letzten Mahl gibt
Jesus Weisung, oft Brot und Wein miteinander zu teilen � �solches tut zu
meinem Gedächtnis� (1. Korintherbrief 11, 24).
Doch irgendwann nach Karfreitag ist Grundstürzendes
geschehen � die Jünger wissen sich gesendet: �Gehet hin in alle Welt
und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des
Sohnes und des Heiligen Geistes� (Matthäus-Ev. 28, 18 - 20), gesendet
nicht vom historischen Jesus sondern vom Auferstandenen. Der irdische Jesus
hat keine Kirche gegründet, keine Lehre von sich als dem Sohn Gottes
gehabt, er nannte sich �Menschensohn� � was etwas mehr als Menschenkind
heisst und den Schimmer künftiger Berufung bei sich gehabt haben mag.
� Es gab da eine Verheissung: �Es wird einer kommen mit den Wolken des
Himmels, wie eines Menschen Sohn� (Daniel 7, 13). Die hat später formbildend
gewirkt. Aber von Jesus selber gab es keine Lehre, die man einfach hätte
weitergeben können. Auch ist alles Schriftliche nicht in Jesu Muttersprache,
dem Aramäischen, überliefert sondern auf Griechisch. Jesus hat
nichts aufschreiben lassen. Es gab keine Lehre zum Weitersagen. Im Gegenteil,
sein Sterben war für die Jünger ein grosses Scheitern. Sein Sterben
widerlegte doch sein Vertrauen. Gott stand nicht zu seinem Zeugen, dachten
sie doch alle; darum die lähmende Starre nach Jesus Begräbnis.
Ob am Dritten Tage oder nach einem Jahr
und drei Tagen oder zehn Jahre später � diese Lähmung wurde aufgehoben
in einer Art Neuschöpfung � die Parallele zum Schöpfungsbericht
liegt nahe: �Und es war finster auf der Tiefe. Und Gott sprach: Es werde
Licht! Und es ward Licht� (1. Mose 1, 2f). Trompeten des Lichts, dies jauchzende
Halleluja: Christ ist erstanden � das Osterereignis, ist geschehen. Die
Welle dieses Sieges betreibt unsere Zukunftserwartung bis jetzt.
Alle Revolutionen haben ihre Sprengkraft
genommen aus der Auferstehung dieses Menschen von den Toten. � �Die härteste
Währung auf dem Markt der Hoffnung� (W. Biermann).
In einer wahren Bilderflut wird vom Auferstandenen
berichtet, je weiter weg vom Ereignis desto farbenprächtiger. Die
Auferstehung hatte keine Beobachter � auch das spätere Bild von der
Himmelfahrt ist eine Gestalt, in der sich die Erfahrung ausformt: Dass
Christus in einem engen Zeitraum nur den Seinen sich zeigt � dann nicht
mehr, weil Jesus jetzt bei Gott ist. In Israel zeigt man gern den Fussabdruck,
von wo aus der Herr sich gen Himmel geschwungen habe � es ist ein Bild,
keine heisse Spur.
Es gibt nur indirekte Hinweise auf Jesu
Auferstehung. Der Widerschein eines Blitzes in den Lichtgeschichten vom
Auferstandenen ist da. Da ist auch das Echo vom Donner der krachenden Todespforten,
in den Schriften, die bis heute Hammer sind, Felsen zu zerschmeissen, Felsen
der Verzweiflung und Macht.
Und offensichtlich ergriff die verzweifelte
Schar, die schon auseinanderstob, ein Wissen; eine Inspiration überfiel
sie � eine heilige Beatmung, nicht von Fleisches Mund sondern von dem,
der der Töne Grund (G. Benn), widerfuhr ihnen. Es schien ihnen, als
habe nach Jahrtausenden babylonischer Sprachverwirrung die Ursprache wieder
von ihnen Besitz ergriffen � die Ausländer hörten die Jünger
die grossen Taten Gottes reden je in ihrer Sprache � das ist das Bild von
Pfingsten: Die Heimfindung der Menschen zu der einen Gottesfamilie unter
ihrem Meister Jesus Christus.
Jetzt, nach Ostern erweist sich: Der Jesus
mit seinem Gottvertrauen musste ans Kreuz, sein Glaube führte ihn
in die geschichtlich hochexplosive Lage, Jerusalem, Jahr 30. Wäre
er auf den Dörfern geblieben rund um den See Genezareth, hätte
er alt werden können. Dynamisch legte er die Schriften aus, kettete
die Liebe Gottes ab von unserm Wohlverhalten, versprach uns die Freude
Gottes, entsprechend unserer Bedürftigkeit. Er heilte Not wo er konnte,
richtete Menschen auf Hoffnung aus: dir, mir steht immer bevor �dass die
Herrlichkeit Gottes, dass seine Werke, offenbart werden sollen� (Johannes-Ev.
9, 3). Diese Aussicht strebt schon Auferstehung zum Reich Gottes an, zielt
auf Fülle hin. Es soll nicht Dunkel bleiben über denen in Angst,
darum wird der Tod nicht das letzte Wort haben � das glaubte Jesus für
sich auch.
Aber erst der Auferstandene sagt das als
Erfahrung. Mit seiner Fahrt durch Tod und Unterwelt und Schwärze und,
wenn es Hölle gab, dann auch mit seiner Fahrt durch die Hölle,
hat er die Macht Gottes neu vermessen: Vor uns nur Gott und seine Liebe,
alles Gegenteilige ist wie abfliessendes Wasser nach der Sintflut � Christus
steht für die Rettung durch den Tod, der Tod entbindet uns zu ihm
hin.
Erst schien der Martertod ja das Vertrauen
des Jesus zu widerlegen. Das Psalmengebet (Psalm 22) �Mein Gott, warum
hast du mich verlassen?� bewahrt den Menschenschmerz � der Gott treuer
zu bleiben schien, als dieser dem Leidenden. Damit greift Jesus unter das
tiefste Leid und hält es in Frage � stemmt unser Leid in Richtung
Sinn � verknüpft Horror und Gott, beschwert Gott mit dem Leid der
Welt. Sein Tod ist die Frage an Gott im Tod, und in der Frage gellen alle
Leiden und Schmerzen und Sehnsucht mit.
Unser Menschentod ist eben nicht nur natürliches
Enden, sondern Schrei, Tragödie, Sehnsucht ist mit dabei. Uns steht
doch mehr zu als das Nichts. Wenn Gott die Quelle des Lebens ist, dann
kann er sein Geliebtes nicht vergangen sein lassen. Es gibt kein ruhiges
gutes Ausklingen, einfach so als Verlöschen für uns Menschen,
wenn wir die Ahnung von Gott geschmeckt haben. Uns Menschen ist das Nichts
in der Idee des Todes einbegriffen � darum die Furcht vor dem Tod. Sie
stellt die Angst vor dem Nichts dar, in das uns der Tod stürzt (Cioran).
Und mit Angst vor dem Nichts ist Jesus gestorben, hoffend, in Neugier,
ob Gott dann auch noch Gott ist, und wie, und ob mit ihm, und wie Jesus
noch dann er ist, wenn der Leib ihm abgezogen ist.
Jesus hat sich auf himmlische Art als
lebendig erwiesen. Er hat seinen Jüngern gezeigt: Gott hat mich aufgefangen
und jetzt ist der Tod eben nicht mehr Wand, vor die das Leben knallt. Sondern
Sterben heisst, wir werden verwandelt in neue Gegenwart bei Gott.
Wie das geht? Paulus versucht das rührend
zu beschreiben, wir werden überkleidet, werden Unverwesliches anziehen
(1. Korinther 15, 53). Aber er bricht diese Versuche ab, es reicht zu wissen:
�Unsere Arbeit wird nicht vergeblich sein, in dem Herrn� (v. 58), unser
Sehnen wird nicht leerlaufen.
Jesus hat sich auf himmlische Art seinen
Jüngern als lebendig erwiesen � �Jesus war gerade durch den Tod als
Zeuge des Glaubens zum Ziel gekommen, so nämlich, dass nun das Feuer
des Glaubens zu brennen und um sich zu greifen begann� (Ebeling, Wesen).
�Wär� er nicht erstanden, so wär� die Welt vergangen� heisst
es in dem mittelalterlichen Osterlied, was meint: Wär er nicht erstanden,
stürben wir ins Leere, hätten nur Vergangenheit vor uns � so
aber lacht Fried und Freude, In-Gott-sein eben, Lebendigkeit auf höchstem
Niveau, wie nur die grössten Künstler es in Ahnungen einfangen
können.
Paulus schreibt einmal: Das ängstliche
Seufzen der Kreatur harrt auf das herrliche Offenbarwerden der Kinder Gottes,
denn auch die Schöpfung wird dann frei werden von der Knechtschaft
der Vergänglichkeit zur herrlichen Freiheit (Römerbrief 8, 19
f). � An Jesu Kreuzestod war die Knechtschaft der Vergeblichkeit zu sehen
wie ein Brandmal � der Liebende wird so entstellt. Wenn das das letzte
Wort der Liebe Gottes gewesen wäre, was wäre das für ein
Gott � wir steckten alle im Kaputten und Gott mit. Ist Christus nicht auferweckt
worden, so ist unser Glaube nichtig und wir stecken im Nichts fest und
Gott auch (nach 1. Korintherbrief 15, 14).
Jesu Auferstehen besorgt ihm nicht nur
eine private Zukunft. Unendlich mehr entscheidet sich an Ostern. Jesu Lebenslauf
ist mit seiner Gottvertrauenspredigt so verwoben, dass ein Schweigen Gottes
zu Jesu Tod der Tod Gottes bedeutet hätte. Hätte Gott geschwiegen,
so wäre uns das leuchtendste Bild für Gott, im Sande der Geschichte
verschollen. Der Zeuge wäre erledigt. Damit wären der Menschen
Träume vom Liebenden Gott wohl nicht ausradiert, aber die Gewaltfratze,
die Menschen Gott aufstülpen, wäre noch fürchterlicher.
Paulus sieht Jesu Auferweckung als Anfang
der Heilung, als Anfang der Auferweckung aller Kreatur. Der Beweis, dass
Christus auferstanden ist, damals, ist Christus in dir, in mir, der leuchtende
Planet, das Inbild deiner eigenen Gotteskindschaft. Der Beweis für
Christi Gegenwart ist, dass du ein auferweckter Mensch bist.
Trauen wir der Liebe die Verwandelkraft
zu? Und dass Totgesagtes aus dem Schlaf gerufen werden kann? Glauben wir
den Jesus als Auferstandenen, der uns anhaucht in Liebenden? Wär Christus
tausendmal in Jerusalem auferstanden und nicht in dir � was soll�s? So
aber: Du, in Christus bist eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, Neues
ist im Werden (2. Korintherbrief 5, 17). Amen.