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Predigt 26. Oktober 2003

Keitumer Predigten Traugott Giesen 26.10.2003

Fröhliches Protestantsein

Ich bin gern ein Protestant- zum Reformationstag darf man mal darüber laut reden. Nur ein Schmerz ist dabei - es gab mal bei aller Verschiedenheit innerhalb des Christenhauses eine Kirche, die allgemeine Kirche, die den damals bekannten Erdkreis umfassende, auf griechisch: „katholische“ Kirche. Aber schon 451 erkannte das Konzil von Chalcedon die Gleichstellung der Bischöfe von Rom und Konstantinopel, bzw Byzanz an. Im neunten Jahrhundert stießen die Ostkirchen sich ab, sie nannten sich die Orthodoxen, die Rechtgläubigen; die vom Papst geleitete Kirche wurde die römisch-katholische Kirche.

Also die Gesamtkirche war schon früher geteilt, aber vertieft ist der Riss im Christenhaus allemal. Nur – daran schuld sind die, welche die Reformation machten, und mindestens genau so die, welche die Reformation nicht mitmachten. Jedenfalls Gott sei Dank für die Reformation. Mit ihr bekam die Kirche einen ungeheuren Schub zur Moderne hin und zur Vielfalt. Inzwischen haben wir neben der römisch-katholischen Kirche mehr als 300 andere Kirchen, sie sind im Ökumenischen Weltrat der Kirchen versammelt. Die Auflösung der Kircheneinheit ist schmerzlich, aber als spalterisch erlebe ich die römisch–katholische Kirche, weil sie die evangelischen Kirche als Kirche nicht anerkennt.

Wenn in der Öffentlichkeit von Kirche die Rede ist, ist es allermeist von Rom, das hallt. An der riesigen Medienpräsenz des Papstes sind wir allerdings alle mitschuld. Wir Menschen haben Prunk und Pomp nun mal gern, stehen Schlange, um auf gekrönte Häupter aller Art einen Blick zu erhaschen, und wenn Macht noch den Duft des Heiligen bei sich hat, dann geht so mancher in die Knie. Kein Wunder, dass die Katholische Kirche viel mehr Aufsehen erregt - ihre Bischöfe sind bunter gekleidet, kardinalsrot haben wir Evangelischen schon gar nicht, "unsere Gottesdienste haben den besseren Text, aber die Messen haben eine bessere Inszenierung" (Werner Höfer), „fürs Auge ist wenig los, in protestantischen Gottesdiensten man muss ganz Ohr sein“ (K. Marti). Und wir biederen protestantischen Pfarrer liefern all die heißen Themen nicht, über die man sich bei Priestern lustvoll das Maul zerreißt. Die Evangelische Kirche hat was Aschenputtelhaftes an sich, und das ist gut so. Ich bin froh, ein Protestant zu sein; gut, sich mal dessen zu vergewissern.

Die evangelische Frömmigkeit ist in sich gekehrter, wir haben keine Prozessionen, an Tiergottesdienste trauen wir uns nur zaghaft heran. Die Beichte verlor ihren Zwangscharakter zurecht, aber die seelsorgerlichen Gespräche könnten mehr werden. Protestanten sind einsamer, sie haben auch nicht das katholische Vereinsleben, das sich oft mit Heimatpflege verbindet.

Protestanten haben einen direkten Zugang zu Gott, oder eben auch nicht, die Kirche als umfangende, wärmende, schuldabnehmende Mutter fehlt, die sagt, wo es lang geht. Im Dritten Reich verfielen mehr Protestanten dem Hitler, weil sie mit ihrem Gewissen keine Stütze fanden, auch mehr Protestanten gehen sich ans Leben. Das ist die Kehrseite davon, dass wir keine Kirche mehr haben, der man gehorchen muss.

Vielleicht haben wir mehr die geschwisterliche Kirche, in der wir Nachbarschaftsprobleme und Verantwortung für die Not in der Welt beraten. Im Kern ist die Frömmigkeit der Protestanten ziemlich erwachsen: Bruder Christus und der mütterlich-väterliche Gott sind uns nahe. Heiliger Geist ist uns wichtig, der treibt uns an, als Söhne und Töchter Gottes das Projekt Reich Gottes mit zu bauen. Die protestantische Arbeitsethik war mal berühmt. Die Arbeit des Hand- und Kopfarbeiters galt als Gottesdienst. Unser Gebetsleben ist eher karg, Gott weiß! Das genügt, darum auch wenig Heuchelei, wir müssen uns nicht frömmer darstellen als wir sind.

Wir kennen keine Gottesdienstpflicht; der sonntägliche Gottesdienst ist Lob- und Dankfest, ist auch Controlling für die vergangene Woche, auch Bitte um Vergebung und Bitte um eine neue Woche Zeit, Gottesdienst ist Nachdenken über Gott, mit Gott, anhand der Bibel, der Gesänge; Gottesdienst dient weniger der Anbetung und der Ehrbezeugung, er ist Trainingstunde für tieferes Gottesbewusstsein, Stärkung der Seele für den Gottesdienst im Alltag.

Protestanten wollen verstehen. Schon gar nicht können wir anderen Autoritäten unser Gewissen überlassen. Du entscheidest selbst, was vordringlich ist, du brauchst keinen Vormund vor Gott. Wir brauchen auch keinen Pontifex, einen Brückenbauer zum Herrn, brauchen keine Zwischeninstanzen, Selige oder Heilige, die vor Gott für uns Fürsprache halten, als wäre der ein morgenländischer Potentat, dem man unterwürfig begegnen müsse.

Das evangelische Selbstgefühl ist das des Freien. Nicht meine Sündlosigkeit auch nicht meine Rechtschaffenheit, nicht meine Gerechtigkeit macht mich Gott recht- sondern Gottes Liebe teilt seine Gerechtigkeit mit mir (Psalm71,2). „Nichts kann mich scheiden von der Liebe Gottes“ (Römerbrief 8,38) - also auch ich mich nicht von ihm! Das ist das Hohelied des Evangelischen Christen.

Wir haben hoffentlich ein scharfes Gewissen für unsere Untaten, wissen auch, dass sie Gott erleidet, am eigenen Leib. Aber: „So halten wir dafür, dass der Mensch Gott recht werde allein durch den Glauben, mittels seines Glaubens, nicht durch und mittels guter Werke" (Römer 3,24), auch nicht wegen seines Glaubens.

Das protestantische Selbstbewusstsein ist groß - ich gehöre unmittelbar zu Gott, „wir, seine Kinder, seine Erben“ (Römer 8,17); „wenig niedriger als Gott selbst, hast du ihn gemacht, mit Ruhm und Ehre gekrönt“ (Psalm 8,6); noch der Allerniedrigste ist geschaffen „Zu seinem Bilde“ (1. Mose 1,26) und bestimmt dazu, einmal Gott zu sehen „von Angesicht zu Angesicht“ (1. Korinther 13,12).

Protestantisch sein heißt "pro re testare" - für eine Sache zeugen.

dass der Himmel nicht käuflich sei - damit fing die Reformation an, auch die Zugehörigkeit zur Kirche ist nicht heilsnotwendig, darum auch ein Ausschluß aus der Kirche verschließt nicht den Himmel, das weiß ein Protestant. Wir wissen auch, dass Petrus nicht am Himmelstor steht und uns filzt. Die Vorstellung kommt ja von dem Wort: „Welchen ihr ihre Sünden vergebt, denen sind sie vergeben, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Dieses Wort der Schlüssel, soll Jesus dem Simon gesagt haben, mit dem andern Wort: „Auf dich Fels (griechisch petros) will ich meine Kirche gründen“- (Matthäus 16,18): Sicher ist Jesus Christus an Ostern seinen Jüngern und Jüngerinnen erschienen, und hat sie gesegnet, und ihnen geboten, das Kommen des Reiches Gottes weiterzusagen. Kennzeichen des kommenden Reiches Gottes ist, dass die Liebe wächst und die Angst weicht: dazu gehört auch, dass wir vergeben und uns Gottes Vergebung zusprechen. Aber Sünden einem anderen behalten - das macht Angst, dazu ist Kirche nicht berufen. Lange genug hat Kirche sich angemaßt, das Gnadenkonto Gottes zu verwalten.- Ich bin stolz, dass wir Protestanten der Kirche diese Macht abgewöhnt haben; und ihren Pfarrern auch - wir keine Besitzer Gottes mehr sind, in Kirchenfestungen die Menschen niederdrücken. Inbegriff dieser Verkehrung: sind mir die zu Hunderten vor dem Papst auf dem Bauch liegenden jungen Priester, wehrlos gemacht durch Gehorsam.

Ich freue mich an dem Freispruch zur Vernunft, freue mich an der Vertreibung von tausend Jahren Dunkelheit, freue mich an der Fortsetzung der Reformation in der Französischen Revolution und der Aufklärung; die ja "der Austritt des Menschen ist aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit" (I. Kant).

Ja, wir zünden keinem heiligen Antonius mehr eine Kerze an für wiedergefundene Schlüssel und nehmen nicht an, dass sich Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi wandeln. Doch Dankbarkeit bleibe auch bei uns über Gefundenes. Und die ungeheuren Kraft des Erzählens ist mir beim Abendmahl auch präsent: „In der Nacht, da er verraten ward, nahm Christus das Brot…" Erzählen kann verwandeln, wohlwahr. - Uns Protestanten sind viele Mysterien ausgetrieben. Wenn wir um so gnadenloser ausgeliefert wären dem Kult des Geldes und des innerweltlichen Erfolges, dann wären wir arm dran. Was uns hält und trägt, ist doch Geheimnis, Leben dürfen ist grandioses Wunder; die Zeit, das Werden ist unermessliche Kraft, die Freude, die Liebe ist Gottesenergie. Wer sagt das heute noch? Wie kommt uns das Göttliche entgegen als die lebendige Mitte, zu der wir alle in einer lebendigen Beziehung stehen und wir alle dadurch in einer lebendigen Beziehung stehen? Kirche ist das Kunstwerk, das diese lebendige Mitte als Dreh-und Angelpunkt des Daseins besingt, ausdrückt, ansagt, darstellt, im Gespräch hält, damit wir daran Maß nehmen.

Manche treffen Gott, ohne je in die Kirche zu gehen, manche brauchten noch nie ein Krankenhaus, waren nie in der Oper und zahlen doch mit für Kirche, Krankenhaus und Oper. Kirchensteuer ist ein Akt der Fairness, eine Frage der Ehre. Aber viel wichtiger: Du bist Kirche! Jeder Christ, jede Christin: Salz der Erde, Licht in der Welt. Und wo du bist, ist etwas mehr Heiliger Geist, so einfach ist das! Kirche, soll das gefährliche Gedächtnis der Freiheit wach halten, und für Menschenwürde unsere Hände auftun. Wer hält sonst die Wahrheit der Sprache Jesu lebendig? Keine Sekte darf sie werden, kein Schiff ohne Passagiere. „Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist,“ so Dietrich Bonhoeffer, um dessen willen auch ich gern Protestant bin. Amen


 




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