Traugott Giesen Kolumne 18.03.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Sich präsentieren und mehr
�Was nützt der schönste Sonnenaufgang, wenn wir nicht aufstehen?�
fragte schon Lichtenberg; das Kostbarste ist die Aufmerksamkeit, heute
erst recht.
Niemals war es so wichtig, bemerkt zu werden und gut anzukommen. Gerade
die Jungen wähnen sich ungeheuer in Druck. Wenn man nicht auffällt,
ist man untendurch � megaout � verloren, wie nicht vorhanden. Schon Zuhause
war Nicht-wahrgenommen-werden ein Alptraum. Die Grossen beredeten ihre
Sachen, aber man selbst kam nicht dran.
Früher hat es lange Geplänkel gebraucht, bis man sich einig
war, miteinander was zu haben. Da war der Ruf wichtig, die Familie, die
Klicke. Standesbarrieren mussten mühsam überwunden werden. Zeichen
der Zuneigung wurden hinundher geschickt, Liebesbriefe geschrieben über
Jahre. Aufmerksamkeit für einander wuchs in Zeiträumen. Es gab
Fristen, Riten, Verlobungszeit. Unter einem Jahr lief gar nichts.
Und heute reisst es die Leute zueinander, oder es ist eben wieder nichts.
Jetzt, jetzt; eine andere Zeit scheint�s nicht zu geben, jedenfalls nicht
für Singles. Das Leben scheint ein Laufsteg, mit kurzen Auszeiten
nur, und die sind verlorene Zeit, weil keiner hinschaut, keiner anruft.
Immer erreichbar sein, immer auf Sendung, immer einen Auftritt haben, das
ist ein Logo der Moderne. Kein Wunder, dass Menschen sich drängen,
für hundert Tage und Nächte sich begaffen und belauschen zu lassen.
Sollen sie sich an mir weiden, sagen sich die Teilnehmer; Hauptsache, man
wird prominent.
Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut. Man muss sie auf sich ziehen, sonst
bleibt man graue Maus. �Zeig dich� ist erster Auftrag. Scheine fit, clever,
cool, hipp � nur ja nicht wie gehabt. Hilf nach mit Make-up, Tätowierung,
Piercing, Brillis im Ohr oder Zahnschmuck von Diamanten. Trag die Kleidung,
die dich darbietet. Und führ die richtigen Gesprächsbrocken ins
Gefecht: Canouning, Nasdac, Ferrari.
Kunst am Körper und wache Sprüche dienen der Selbsterschaffung,
ständig muss man begehrt, gefragt, verplant sein, muss täglich
sich neu erfinden.
Aber diese Gefühlshetze ist den eigenen wahren Wünschen völlig
entgegen. Man will den richtigen Menschen � den mit Sanftmut und Verstehenwollen,
mit Vernunft und Augenmass, fröhlich und gut geerdet. Auch der für
eine Nacht, muss so vielversprechend sein, dass man bleiben könnte.
Sonst ist auch die eine Nacht wohl leer. Eigentlich ist die grelle Verpackung
als Spiel mal okay. Aber nimmt man die Maske für wahr, wird�s zur
Falle. Man will ja nicht den, der die dolle Aufreisserin, den heissen Typen
will.