Traugott Giesen Kolumne
26.08.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Sich auf den Weg machen
Der Weg ist eines der wichtigen Symbole
der Menschheit. Ohne Weg und Steg sein, ist verzweifelnd, der Ausweg ist
rettend, auf dem Holzweg sein, ist eine Pleite. Unzählbar viele Menschen
haben Strecken begangen und befahren, bis sie endlich zur Strasse herausgearbeitet
ist. Die Alpenpässe sind ausgetreten von Millionen auf Völkerwanderung,
die Furten wurden gefunden nach langen Irrwegen. Alle Wege sind gesammelte
Erfahrungen, sie sind unter Mühen und Schmerzen erfahren, die Geröllpisten,
die Kopfsteinpflasteralleen, die Routen über die Meere, die Autobahnen.
Immer schneller kommen wir von A nach B. Aber lohnt sich der Weg?
Nie waren mehr Menschen auf dem Weg. Zur
Arbeit, von der Arbeit, auf Reisen, um endlich woanders zu sein oder Transporte
hin und her zu bringen. Millionen Menschen sind auf der Flucht, auf der
Suche nach Bleibenkönnen, getreu den Bremer Stadtmusikanten, die loszogen
mit dem schwachen Trost: �Was Besseres als den Tod finden wir überall.�
Und Menschen stromern, flanieren, lassen sich treiben, gehen auf mühevolle
Reisen zu heiligen Zielen, wollen Erleuchtung oder einen Bussgang tun.
Zu Festen und Einführungen in Ämter gibt es feierliche Einzüge,
zu Trauungen wird der Hochzeitsmarsch gewünscht, er macht soviel Mut.
Und bei Beerdigung zieht man dem Sarg hinterher in langer Reihe zum Grab.
Kommt in den USA ein Präsident zu Grabe, wird im Leichenzug ein Pferd
mitgeführt, gesattelt und mit schleifendem Säbel, zum Zeichen,
dass die letzte Schlacht geschlagen ist.
Der letzte Gang ist nur ein Schritt auf
dem Lebensweg. Ob sich mein, dein Leben, wenn es sich zum Ende hinfädelt,
mal zum Weg geformt hat? Wir sind �on the road� � auf der Suche nach Liebe
und Wirkung und Gebrauchtwerden. Gnade ist es, wenn es geht, das Zurechtkommen,
und das Einkommen reicht und das Auskommen mit den Nächsten bekömmlich
ist. Und ein Anwachs von so was wie Weisheit doch sich einstellt, also
Wissen, was das Wirkliche wiegt und wie der Weg zum andern geht. Die Grössten
sind nur die grössern Wegkundigen (Ludwig Hohl).
Wir sind auf dem Weg und brauchen Gefährten,
die die Gefahr teilen und andere, die in Gedanken uns begleiten. Wir sind
lange nicht fertig. �Das ganze Leben� sagt Martin Luther �ist nicht eine
Frommheit sondern ein Frommwerden, nicht eine Gesundheit sondern ein Gesundwerden,
nicht ein Wesen sondern ein Werden. Wir sind�s noch nicht, wir werden�s
aber.� Darum Power dir für Aufbruch und Reise, die längst anstehen,
Mut für Entscheidungen und Lust, verlässlich zu werden. Und Holzwege
lerne neu schätzen. Sie führen zwar nirgendwohin, aber sind Stichwege
ins Holz, Sackgassen mit Beute. Werde erfahren. Wir auf dem Weg sollten
entgegenkommend sein.