Traugott Giesen Kolumne
09.09.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Jetzt Klartext mit Rom
Als evangelischer Dorfpastor fühle
ich mich beleidigt von Bruder Papst. Er hält meine kleine Gemeinde
in der kleinen Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche mit der Evangelischen
Kirche in Deutschland nicht für Kirche. Er hält seine um ihn
zentrierte Konfession für die Kirche, alle anderen nur für Glaubensgemeinschaften.
Er meint, Rom habe die Wahrheit, wir anderen nur ein paar Strahlen, weil
er der Nachfolger des Jüngers Petrus sei und nur das Römisch-Katholische
Abendmahlsverständnis richtig sei, und nur er die Lehrautorität
habe.
Diese drei Behauptungen hat Rom zum Massstab
erhoben. Wären sie von der Bibel vorgegeben oder Jesus hätte
das bestimmt oder die Vernunft legte es nahe oder die christlichen Kirchen
hätten so beschlossen, gut � aber nichts davon ist der Fall. Nur die
tausend Jahren ungebrochene Machtlust der Römischen behauptet das,
um sich zu sichern.
Dabei hat Jesus überhaupt hat keine
Kirche gegründet. Er hat seine Apostel geschickt, das kommende Reich
Gottes zu verkündigen. Der hellste Kopf der Urkirche, Paulus, legte
sich mit Petrus an; der wollte die Christen weiter unter dem Tempeldach
halten, sie weiter dem jüdischen Gesetz verpflichten. In diesem Streit
wohl behaupten die Petrusanhänger, dass Jesus dem Petrus eine Schlüsselgewalt
übertragen habe. Aber Paulus schleudert ihm entgegen, wenn er weiter
auf der jüdischen Beschneidung bestehe, dann solle er sich doch gleich
ganz kastrieren lassen (Galaterbrief 5, 12). Paulus hat theologisch durchdacht,
was das Rettende an Christus ist: Die Liebe Gottes gilt allen Menschen,
er macht den Gottlosen gerecht.
Rom war immer eine starke Gemeinde mit
starkem Bischof. Aber dass er Herr sei über alle anderen Gläubigen,
hat Jesus Christus sicher nicht angeordnet, er, der gesagt hat: Einer ist
euer Meister, ihr aber seid alle Geschwister (Matthäus 23, 8).
Der Einheit in Verschiedenheit würde
es nützen, wenn die Gesamtheit der auf Christus sich berufenden Kirchen
ein symbolisches Oberhaupt hätten. Aber solange Rom sich für
die Mutterkirche hält und den Rest für unmündige Ableger,
ist Rom in Illusion befangen. Und solange sie Kondome verbrennen lässt
und damit mehr und mehr Millionen Menschen an Aids sterben lässt;
solange sie behauptet, Gott bestrafe die Menschen mit Aids für Liebesumarmungen,
die nicht der Zeugung eines Kindes dienen; solange sie Frauen das Priesteramt
verweigert, und ihren Priestern ein asexuelles Leben auferlegt; solange
sie für Geschiedene eine neue Ehe als Sünde erklärt, solange
sie, trotz Martin Luther, weiter Gottes Gnade zur Ware verdirbt und per
Ablass geschürte Sündenangst versilbert, und, und... weiss ich
nicht, ob ich Rom als Teil der Kirche anerkennen kann. Ist es nicht eher
die Fortsetzung des Römischen Kaiserreiches mit christlichem Dekor?
Treue Liebesarbeit gedeiht in vielen katholischen
Ortsgemeinden und in Elendsvierteln der Erde; ein Heiliger unserer Tage
ist wohl Bischof Lehmann. Aber Rom kränkt die Gesamtkirche mit Hochmut.
Das ökumenische Schmusen hat ein Ende, jetzt muss Klartext geredet
werden.