Traugott Giesen Kolumne 30.09.2000
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Esoterik � ein weites Feld
Man muss viel glauben, wenn man nicht
an Gott glaubt. Wer nicht dem Geist traut, sieht die Geister tanzen. Wer
nicht an den Schöpfer glaubt, muss wohl, will er nicht die Welt als
Unsinn denken, die Natur vergotten. Dann sind die Externsteine nicht urig
geformter Kalksandstein sondern Heil-Ort, Quellen sind Wesen und Bäume
reden; Aromen retten, Sterne sind Freund oder Feind.
Wir sehnen uns nach hoher Bedeutung. Das
macht alle Religion aus: sie adoptiert Menschen zu Kindern Gottes. Aber
die Suche nach Pfändern von Liebe und Bedeutung ist unstillbar.
Früher ritzte man ins Brot das Kreuz
als Zeichen für die Gottesgabe. Heute muss man�s selbst drüber
schlagen, sonst bleibt�s einem eben nur Kohlehydrat. Früher war Brot
eine Gabe, heute ist es Ware. Die Vernünftigkeit des Wirklichen ist
ausgedörrt, verzweckt, geldwert Wen erstaunt�s, dass wir die
Waren wieder aufladen mit Weihe. In Dresden wird dem Autokult gerade ein
Tempel gebaut. Das neue VW-Produkt Bugatti wird nicht einfach mehr ausgeliefert
sondern wird als Gnadengabe dargereicht.
Die Christen mag das Vertrauen stärken:
Von guten Mächten wunderbar geborgen! Im übrigen sollen sie gerechtere
Verhältnisse besorgen. Den Jüngerinnen und Jüngern der Esoterik
aber ist dies Kirchenwissen zu banal, sind die Gemeinden zu bieder, ist
die Bibel zu langwierig. Sie wollen durch Wissen von Geheimem in Sinn eingeweiht
werden, wollen sich Glück erwerben durch Befolgen eines schwierigen
Weges, wollen auserwählt sein durch die Gefolgschaft Auserwählter.
Es gibt viele Gründe, traurig zu
sein; vor allem den Grund, nicht zu wissen, warum man hier ist auf dieser
schönen, armen Erde. Wessen Seele flattert, der kann leicht zu Geistheilerei
neigen oder er versucht�s mit Pendelschwingen oder Tarot. Wer das Verschlossensein
der Zukunft nicht aushält, kann darauf verfallen, sich mittels Astrologie
oder Handlesen oder Wahrsagerei oder Mondkalender einen Schein von Sicherheit
zu besorgen. Auch Ufologie gibt�s und Tantrismus, Schamanismus auch Satanismus
für die harten Typen, Urintrinken, Engellehre und Tibetanismus, Allein
an hauptberuflichen Astrologen soll es mehr als die dreissigtausend Priester/Pastoren
geben.
Einige esoterische Praktiken mögen
Menschen zur Ruhe bringen. Von andern mag gelten: Nützt es nicht,
so schadet�s nicht, ist nur teuer. � So wird die schöne Begabung,
einander streicheln zu können von der Haut bis in die Seele, in Reiki
angereichert mit östlichen Gedanken zu teurer Energieübertragung.
Reicht nicht für die Lust an Magie die Suche nach vierblättrigem
Klee?
Manches Okkulte ist nur Hohn auf Hoffnung.
Das meiste esoterische Wissen ist Haschen nach Wind mit Anklängen
von Weisheit. Und ist Frage an Kirche, wo sie denn ihre Schätze vergraben
habe.