Kolumne 11. Januar 2003 -
Beschwer dich nicht, erklär dich nicht
Traugott Giesen Kolumne 11.01.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Beschwer dich nicht, erklär dich nicht
Irgendwo stand von Fernseh-Unterhalter H. Schmidt
zu lesen, sein Leitspruch sei der des englischen Adels: Never complain,
never explain - beschwer dich nicht, erklär dich nicht. Der Spruch
gefällt mir. Ich würde mich gerne mehr dran halten. Eben fuhr ich
mit der Taxe, der vermummte Mensch am Steuer tat seinen Dienst; ich hielt
artig an mich, schlug ihm nicht die Route vor, auf der wir die Brücke
hätten nehmen können, statt erst mal gemächlich an der Schranke
Halt zu machen. Auch den Dudelfunk beschloss ich, auszuhalten, bat auch nicht,
den Sprechfunk leiser zu stellen. Ich lehnte mich einfach in die - na, Polster,
wäre geprahlt - aber doch, ich lehnte mich zurück, ließ der
Welt ihren Lauf und guckte ihr dabei zu.
Auch beim Kollegentreff dann hielt ich mich
mit Selbstdarstellung zurück. Nette Kommentare verschluckte ich und
wartete ab, bis Platz war für einen brauchbaren Vorschlag. Einmal geriet
ich in die Enge, ich hätte langatmige Erklärungen abgeben können,
sagte statt dessen nur: Es läßt Platz für Besseres,
man zu - Ein beifälliges Nicken und ging zum nächsten
Thema.
Sich nicht erklären, das fällt
sprachkargen Menschen natürlich leichter. Wer aber Wachstum gerne zeigt
und wahrnimmt, gern was von sich vorführt, auch manchen die Meinung
sagt, der wird auch selbst auf die Gabel genommen, und muß erklären,
wie ers denn meine. Da kommt schnell ein Gefeilsche um Worte bei raus. Du
wolltest nur was anmerken und schon hast du eine Meute von Vorwürfen
am Hals. So kann das gehen, vor allem, wenn man sich nahesteht.
Es kommt viel auf Tag und Stunde an, auf den
richtigen Zeitpunkt für beide, dass Beschwerde hilft und
Selbsterklärung erhellt. Reklamieren artet schnell zum Angriff aus,
Von-sich-reden zum Aufplustern. Mehr im Vorübergehen seine Wünsche
sagen, mehr das Gelungene herausheben und damit dem andern überlassen,
sein Ungeglücktes nochmal nachzuarbeiten; das wäre es. Und nebenbei
einfließen lassen, wie man es besser meinte als man erst dafür
Worte fand. Zur Klarstellung nicht Termine anberaumen, sondern im
Vorübergehen, im Nebensatz, was von sich zeigen - das nimmt Angst und
mehrt Vertrauen. Längeres Verstummen kann beendet werden schon durch
ein Lächeln, eine angebotene Tasse Kaffee mit einem Stück guter
Schokolade. Es gibt viele Gründe, aufs Rauchen zu verzichten, aber das
war schön - man konnte leicht neu anfangen, konnte wieder anknüpfen,
den Faden aufnehmen, indem man gemeinsam eine rauchte.
Beschwer dich nicht, erklär dich nicht
- das lockt, den Panzer des Selbstgefälligen abzulegen. Über
Unzulänglichkeiten anderer mit Verständnis hinweggehen, ist
menschenfreundlicher als den Ungeschickten zu benutzen, um über ihm
den eigenen Frust zu entladen. Und es muß dich doch nicht jeder so
sehen, wie du dich selbst gern siehst. Laß doch einige Unschärfe
zu in der Beurteilung deinerselbst, stell nicht dauernd richtig, es kommt
schon zurecht.