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Kolumne 25. Januar 2003 - <br>Geduld - der rettende Stoff

Traugott Giesen Kolumne 25.01.2003 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Geduld - der rettende Stoff

Manchmal bemerke ich mich als lieblos. Dann bin ich ungeduldig, bin kurz angebunden am Telefon, hupe dem langsamen Vorausfahrer eins, lasse den Kollegen nicht aussprechen, bestelle im Lokal für Frau Gemahlin schon mal mit.

Es gelingt dann nicht, mich auf des andern Rhythmus einzulassen. Ich erlebe sein Tempo als Blockade meiner Energie, je älter ich werde. Nur, wie das ruhig zur Sprache bringen? Dann könnte man ja Buchten zum Überholen einplanen, könnte passendere Zeiten absprechen. Ich will einfach nicht dulden. Aber zwinge damit andere zum Dulden. Das wiederum lassen die sich zum Glück nicht lange gefallen, werden ihrerseits bissig. Richtig so.

Denn Liebe ist gut. Aber Liebe soll sich nicht ans Schlucken gewöhnen. Ich soll nicht meinen Egoismus durchsetzen, noch mich dem Egoismus des andern beugen, sondern ich soll mit ihm Gerechtigkeit suchen, dass jeder nach seinen Kräften am Gemeinsamen mittut. Ich soll die Waage bauen, auf der das je Eigene beider zu wiegen und zu vergleichen ist. Und keiner soll wehrlos sein durch Respekt.

Also auch gut, nicht zu lange geduldig zu sein. Geduld kann auch zum Laster werden, wir müssen schon hingucken, müssen wahrnehmen, was ist, werden sonst mitschuldig, wenn wir die Konfrontation meiden. Wir halten ihn ja fest bei seiner Tour, trauen ihm Beilenken nicht zu - so sind wir die Ungeduldigsten, weil wir Veränderung beim anderen längst abgeschrieben haben.

Ein Lebensgeheimnis ist: Alles hat seine Zeit. Und das Korn wächst nicht schneller, wenn man es zupft. Also drängen wir die Heranwachsenden nicht und behindern sie nicht, verantworten sollen sie im Rahmen ihrer Kräfte. Auch die Liebe hat ihre Zeit; es siegt nicht, der nachrennt; nicht der davonrennt, sondern es siegt, wer wartet - wenn er denn inzwischen neue Erfahrung macht - eben mittels Geduld Einsicht erlangt. „Ich nehme mir Zeit, bevor ich einen Fehler mache", sagte der Polarforscher John Franklin. Er ging davon aus, dass er reich an Zeit sei. Der Hastige überspringt seine Gelegenheiten. Darum ja ist ein Geduldiger auch besser als ein Starker (Sprüche 16,32).

Eine Form von Geduld ist Höflichsein, dem andern erst mal Recht geben, ihm Raum lassen, sich darzustellen. Also in Sitzungen sich zurücknehmen, dass der andere das Seine auftischen kann. Keine Vorwürfe, um den Mund zu stopfen, auch Heuchelei nicht aufspießen, weiterhin einen fast als Freud und Förderer behandeln. Gefühlsbetonte Abneigungen haben wir wohl alle, aber einem die Chance lassen, sich von seiner guten Seite zu zeigen, das zahlt sich aus. Vor allem, wenn wir auf Hilfe angewiesen sind, sollten wir Geduld aufbringen - nicht umsonst heißen die Kranken „Patienten", was vom lateinischen Wort für „dulden, leiden" kommt.

Geduldige, Tragfähige braucht das Leben. Beten wir also nicht um leichtere Lasten, sondern um breitere Schultern.


 




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