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Kolumne 5. April 2003 - <br>Der Frühling ist wiedergekommen

Traugott Giesen Kolumne 05.04.2003 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Der Frühling ist wiedergekommen

Der Winter schien nicht enden zu wollen, und gerade wieder wehen raue Winde von Norden, wieder noch mal trägt man Wintersachen. Doch unaufhaltsam steigt die Sonne höher - wo es windgeschützt ist, brennt sie schon. Blüten zeigen Farbenfülle, Bienen sind unterwegs, Vögel bauen Nester, die Schneeglöckchen können schon gehen. Gleich ist Ostern, das Aufbruchfest wie keines sonst.

Aber es ist Krieg. Mehr Menschen denn je sind beschäftigungslos. Und wieder ganzer Jammer über ein umgebrachtes Kind. Viel Kälte tun wir uns an, viel "Leiden, Seelenqual, Grauen, Fluchttrieb"(Thomas Mann). Und dennoch: Frühling ist wiedergekommen, die Erde bricht auf zu neuer Saat und Ernte. Auch uns könnte es packen, aufzubrechen zu neuem Tun. Frühlingserwachen springe uns in die Sinne!

In der Natur ist ein geheimnisvoller Zwang zum "Lebenwollenmüssen". Mit Macht drängt sich das Leben in Farben und Formen. Wenn der Saft in die Bäume steigt, merken auch wir uns als Projekte eines Lebenswillens; nenn ihn Gott oder Natur, jedenfalls spüren wir einen Elan. Wir wollen auch wieder aufbrechen, wollen uns lustvoll spüren, wollen Not und Gefahr abwenden, ein Gutes beginnen. Draußen fängt so viel an, da kannst du mit aufspringen. Gönn dir wieder, dass etwas anfängt, tu was für dein Glück. Du bist keiner, der mit sich nichts mehr anzufangen weiß.

Du willst doch stärker fühlen, dass du mit dir einverstanden bist; du willst mehr Gefühle eines mit sich selbst einverstandenen Lebens. Damit hast du eine Richtung, handle in diese Richtung: du mit dir einverstanden. Lern von der Natur, die will ihr Wachstum zeigen. Trau dich auch. Geh auf den Markt mit deinen Gaben, stell dich zur Verfügung, melde dich, bewirb dich. Woran sich andere die Zähne ausbissen, du kochst es anders gar. Woran andere zu Fall kamen, du schulterst es neu.

Das ist doch das Wunder: "Und ein neuer Frühling folgt dem Winter nach." Dann kann ich, du doch auch, noch einmal anders. Wenn du dich zu wenig geliebt weißt, erweck dir eine neue Freundschaft. Wenn du zu wenig dich gebraucht weißt, dann tu etwas Wichtiges; frag erst in zweiter Linie, was es dir einbringt. Einen Ärger schaff dir vom Hals, vielleicht brauchst du ihn nur umzutaufen und kannst anders mit ihm umgehen.

Eine neue Sicht könnte dir zuwachsen, wenn du diesen Satz dir zu Eigen machst: "Statt zu klagen, dass wir nicht alles haben, was wir wollen, sollten wir lieber danken, dass wir nicht alles bekommen, was wir verdienen" (Dieter Hildebrandt). So viel Gnade ist über deinem Leben, viel mehr gelingt dir als dir missrät, wie viel Strafe wurde an dir nicht vollstreckt. Du mit deinem Talent zum Glück, leb es mehr!


 




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