Kolumne 19. April 2003 -
Das Symbol für die Entstehung des Lebens
Traugott Giesen Kolumne 19.04.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Das Symbol für die Entstehung des Lebens
Ein Fest mit dem Ei als Zeichen muss was sein. Denn das Ei ist doch die
schöpferische Leistung überhaupt, es enthält die wesentlichen
Anlagen für die Entwicklung eines Organismus, mikroskopisch klein, beim
Menschen - 0,2 Millimeter. Hühnereier sind groß genug, um auch
Lebensmittel zu sein. Verziert in allen Farben, gefunden von jauchzenden
Kindern, schmücken sie den Tisch zum Osterfrühstück.
Das Ei ist ein Traum, es ist das Hauptsymbol für die Entstehung des
Lebens. In andern Kulturen schlüpfen Himmel und Erde aus einem Weltenei,
von der Urmutter aller Dinge gelegt. Andere sahen ihre Gottheit lange schlafen
in einem Riesenei, bis es zerbrach und das Leben sich daraus erhob. Die Schalen
formten das Himmelsgewölbe. Das Ei steht für Fruchtbarkeit. Ganz
und gar wunderbar ist Zeugung und Geburt, genau so wie das Wiederkommen der
Sonne nach langem Winter. Früher hing an der Fruchtbarkeit von Mensch
und Tier das Überleben, da gab es noch keine Hormongaben, kein Kraftfutter,
keine künstliche Befruchtung. Heute wissen wir mehr, wie die Natur
funktioniert. An die Stelle blinden Staunens von einst tritt das wissende
Staunen; jetzt haben wir Einblick in die komplexen Verfahren -
größere, erkenntnisvolle Ehrfurcht steht uns wohl an,
gemäß dem Wort von Max Planck: "Der erste Schluck aus dem Becher
der Wissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet
Gott."
Das Ei ist auch ein Bild für Zukunft übers Grab hinaus - man gab
den Gestorbenen Eier zur Speise mit; sie symbolisieren die ungebrochene Summe
der Lebenskräfte. Das Ei muss aber in den Tod, um Frucht zu bringen.
So ist das Ei Bild für den Tod, aus dem Leben entspringt, für
Auferstehung aus dem Schoß des Todes: sterbend werden wir zu Ende geboren
für neues Leben, wie das auch werden mag. Und will man es ganz schlicht
haben, dann kann man das Ei auch sehen als ein starkes Bild fürs Grab:
Am Ostermorgen ist Christus aus dem Tod hervorgebrochen wie das Kücken
aus dem Ei.
Leuchtend angemalte Eier, Frühling, Auferstehung Christi - Hauptsache,
wir geben die Hoffnung nicht auf und sehen uns nie, nie aufgegeben von Gott,
dem Herzen des Weltkörpers. Der Tod macht keinen Sinn, das Nichts kann
nichts gebären, die Natur ist kein denkendes Wesen, sie ist getrieben.
Du aber geliebt, gewollt - du immer mit Zukunft, du immer auf Vollendung
ausgestreckt, immer auf dem Weg. Wir müssen voraussetzen, bejaht zu
sein: Gut, dass du da bist! ruft uns das Geheimnis des Lebens zu.
Ja, es gibt Zweifel. Aber lass dich überreden, gern Du zu sein, fühl
wieder die Lust in dir, sich rühren, gerne dich zu spüren. Die
Bäume voll Blüten, Lerchenjubel überm Feld, das Evangelium
von der Auferstehung, Orgelbrausen, Lobgesang - nimm was davon als Tatze,
die dir auf die Schulter haut und du hast das Gefühl, er ist eine Kraft
der Vorsehung, gekommen, um dich aus deiner alten Verzagtheit zu erlösen.