Kolumne 31. Mai 2003 -
Du bist ein Segen - Grüße zum Kirchentag in Berlin
Traugott Giesen Kolumne 31.05.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Du bist ein Segen - Grüße zum Kirchentag in Berlin
Doch, du bist geliebt und gebraucht, bist nötig und wichtig, hilfreich
und begabt. Wisse das und halte dich dran, genieße und ertrage dich
als genau dich, in deiner Haut, mit deinem Kopf, mit deinem Gewissen, mit
deiner Lust und Unlust, mit deiner Geistes- und Körperfreude. Leb in
deinem Tempo, triff Entscheidungen nach deinem Horizont, geh davon aus, dass
du niemandem schaden willst, und unterläuft dir doch ein Missgeschick
gegen deinen Nächsten, mach doppelt wieder gut. Andere sollen etwas
haben von deinem Dasein und Nahesein. Und verletzt du sie, stell sie zufrieden,
du hast doch viel. Ein Schatz zu sein - dieses Wissen gibt eine schöne
Neigung hin zu Menschen, es nimmt dir die Scheu. Du gehst geschmeidig durchs
Leben, das dir eine Heimat ist, du gibst ihm, was es braucht, um dich zurecht
zu kriegen.
Du lernst, innerhalb von Grenzen das Deine zu betreiben. Auf weitem Raum
bist du auf dich gestellt, viele Möglichkeiten halten sich für
dich bereit, Zeiträume sind dir gewährt. Aber alles ist endlich;
alles kommt an seinen Punkt. Dann ist Wohlwollen überdehnt und es setzt
ein hartes Nein, dann ist Geistesgegenwart erschöpft und das Auto
schlingert, Frist läuft ab und Abschied muss, wenn auch Tränen
fließen, gefeiert sein. Auch dein Glück ist gemischt, zu dir
gehört auch dein Schatten. Manche Zumutungen machen Bitternis. Aber
du kannst nicht Erfolg haben ohne Blessuren. Du bist selbst auch von krummem
Holz. Dein aufrechter Gang ist immer auch der Trägheit abgerungen, deine
Fairness immer auch ein Sieg über lauernde Charakterlosigkeit. Auch
du brauchst Vergebung. Aber dass du es weißt, das hilft dir. Es fällt
so langsam die Hoffart von dir ab, diese überhebliche Art, andern den
Platz anweisen zu wollen, und sei es nur zu ihrem Besten. Du bist im Werden,
auch das ist gut.
Du, verändere dir zugute, was dich beschwert. Du lernst immer besser,
was dir hinzunehmen und aufgegeben ist, was du tragen musst; damit finde
ein Auskommen, einer Krebserkrankung kann man vielleicht den Platz eines
schwierigen Haustieres einräumen. Anderes kannst du ändern. In
welchen Verhältnissen musst du wirklich bleiben? Keines ist Beton. Und
wenn du mehr Geld brauchst, musst du mehr dich für andere bücken
oder dir den Kopf zerbrechen oder die Feindseligkeit anderer aufsaugen. Arbeit
ist ein Glücksquell, wenn du das Gelingen genießt.
Vor allem sollst du dir gelingen, und deiner Hände und Gedanken Arbeit
soll Frucht bringen. Es ist ein Lieben in der Welt, das mit dir beschäftigt
ist. Du sollst glücklich werden und ein Engel, ein Schatz, ein Glück
für andere sein. Und du bist es. Wisse es, tu es, spüre es auf.
Küss die Freude, wie sie dir zufliegt. Versuche mal, weniger durchschauen
zu wollen und mehr Freude zu fischen, weniger zu mäkeln und mehr zu
fördern, mehr zu danken als Besitztitel zu sichern. Du bist ein Segen,
lebe es!