Kolumne 21. Juni 2003 -
Freundschaft - die Rettung
Traugott Giesen Kolumne 21.06.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Freundschaft - die Rettung
Freundschaft müssen wir nicht machen, sondern merken. Wir haben einander
was zu geben und können gut von einander haben - das Mögen ist
der Schatz. Dann ist dein Merken, Wahrnehmen, dein Sosein mir wichtig. Du
bist mir unersetzlich und ich dir. Ich gebe dir gerne was von mir und nehme
gerne was von dir. Und es wird mehr durch unser Interesse, was wir teilen,
wird mehr.
Denken wir befreundet von Natur und Menschen. Einige flüstern Pferden
oder gehen mit ihren Hunden in die Schule oder heben die Steine vom Acker
ab, dass der blühen und Frucht bringen kann. Die steinübersäten
Äcker im Süden und das Absammeln körbeweise, sicher auch,
um mehr Brot zu haben; aber auch, damit der Boden Acker sein kann. Er wäre
gern Acker, er liegt nicht gern unter Steinen, unter Asphalt - das zu bemerken,
macht zum Freund der Schöpfung. Liegt es nicht noch näher, dem
nächsten Mitmenschen freundlich zu begegnen? Ich will unbefangener gut
denken lernen von Jung und Alt, Mann und Frau, Arm und Reich. Wir sind doch
ergänzungsfähig und hilfsbedürftig, jeder auf seine Art. Wer
hat, merkt's doch nur, wenn er auch geben kann.
Klar, Freundschaft ist freiwillig; Fürsorge ist Pflicht; Ehe ist auf
Lebenszeit angelegt. Aber Freundschaft ist, weil Herz zu Herzen spricht.
Das lateinische amicus, amica: Freund, Freundin ist von "amare", von "lieben"
genommen. "Liebet euch, seid einander Freunde, seid auch freundlich zu den
euch feindlich eingestellten", sagt Jesus. Jeder weiß für sich,
woran er noch arbeiten muss.
Freundschaft fällt nicht vom Himmel. Dies verbitterte "Kein Schwein
ruft mich an" ist jämmerlich. Ruf du doch an. "Nur der Narr klagt: Niemand
ist mein Freund!" - das steht in der Bibel, bei Sirach 20,17. Jesus sagt
es mal anders. "Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon" - mit eurem
Geld und Begabungen. Andre sollen gut davon haben, dass ihr da seid, mit
dem, was ihr habt. Mit Engheit und Geiz und Abwarten und Fürsichbleiben
macht man sich keine Freunde.
Du musst Freundschaft wollen. Die sich verloren vorkommen, müssen wieder
suchen lernen. Es ist immer auch ein Stück Arroganz an der
Freundschaftslosigkeit: "Mich versteht keiner, sie sind alle
oberflächlich." Es ist was dran: Wer allein ist, lässt auch allein.
Müssen wir erst wieder arm werden, dass wir Zimmer vermieten, wieder
gemeinsam kochen, ein Auto teilen? Werden wir die drei Generationen unter
einem Dach wieder suchen? Einige gehen mit ihrer Rente nach Indien und gewinnen
eine Freundschafts-Familie.
Freundschaft ist auch Aufgabe: Häuser öffnen, einladen, sich
verabreden, die hilfreiche Kneipe, offene Augen, verknüpfendes
Gespräch, jemanden mitschnacken. Und gemeinsam ein Ziel haben, eine
Arbeit, die wir zusammen machen, Projekte betreiben. Gegen die
Vereinzelungstendenzen weiß dich zugehörig zu Menschen, zum Ganzen.
Und tu mal wieder was für deine Freunde.