Kolumne 30. August 2003 -
Wer allein erzieht, ist ein heldenhafter Mensch
Traugott Giesen Kolumne 30.08.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Wer allein erzieht, ist ein heldenhafter Mensch
Bald zwei Millionen Menschen erziehen ihre Kinder überwiegend allein.
Da ist der Ehepartner gegangen oder gegangen worden, oder ein Kind kam, und
das Kerlchen von Erzeuger ergriff die Flucht, war selber noch ein Kind,
während die Kindesmutter wohl mit Hilfe ihrer Eltern den schweren Gang
antrat. Vielleicht ist auch Mann oder Frau gestorben. Sicher gibt es auch
einzelne Frauen, die ihr Kind sich wünschen und die Affäre suchen
für die Schwangerschaft, die also willentlich allein erziehende sein
wollen von Anfang an. Ob ein Mensch, in diesem Fall wohl allermeist die Frau,
das Recht hat, ein Menschlein mutwillig zum Halbwaisen zu machen, ist offen.
Klar ist, dass jedes Kind ein Kind Gottes ist.
So gut wie kein Alleinerziehen ist gewollt und gewünscht, immer ist
ein Elternteil der Rest von Zweien, die allermeist fröhlich starteten,
mit Glauben und Liebe und Hoffnung. Aber dann kam die Liebe abhanden, und
das soziale Projekt Familie, das man aufgeklärt und abgeklärt bauen
wollte, war nicht mehr Familie, sondern ein Verein, der platzte, als der
ging, der alles noch zusammengehalten hat. Oder die alles zusammenhalten
wollte, blieb, und baut jetzt um das Kind, nicht mehr um sich selber, eine
neue Familie. Meist ist es die Mutter, die bei den Kindern bleibt, weil sie
unverzichtbarer ist oder sich für unvertretbarer hält. Aber auch
Väter - nicht nur aus patriarchalischen Ländern - ringen oftmals
um ihr Kind. Und können auch gut sorgen und erziehen.
Das Wichtigste für das Kind ist, dass der allein erziehende Mensch nicht
das gefütterte Nest bieten will mit auswendigem Dornengürtel. Das
Kind braucht eine Fortsetzungsfamilie, die kann buntscheckig sein und viel
Fantasie verlangen. Die meisten Großen sind klug genug und die meisten
Kinder sind stark genug, ein Beziehungsnetz zu bauen, das viele Stützen
hat. Dringend sollte der Gegangene oder Abgetrennte weiter Nähe geben
können, der Haupterzieher möge fördern, dass das Kind seinen
andern Elternteil behalten kann, auch wenn Mann und Frau sich nicht mehr
behalten konnten.
Großzügig möge der auch vom Kind Geschiedene die Finanzen
regeln. Das Kind muss er sich doch mindestens weiter kosten lassen, was er
als allein Erziehender dieses Kindes aufbringen würde. Die Finanzen
als Druckmittel einzusetzen oder das Kind unter das eigene Komfortniveau
zu drücken, wäre eine doppelte Untreue gegen das Kind.
Wer allein erzieht, ist ein heldenhafter Mensch. Beruf und Familie und eigene
Wünsche passend zueinander zu kriegen ist ein Kunstwerk und braucht
enorme Disziplin. Da muss nur das Auto kaputt gehen und das Ineinandergreifen
der abgezirkelten Termine bricht zusammen. Eine Krankheit, der Ausfall des
Babysitters, ein neues Eigenleben der Großmutter, Schulden oder neues
Verlieben können Chaos bedeuten.
Allein Erziehende können von jetzt auf gleich ihr Eigenleben verlieren
- hoffentlich nur für kurz. Es kommt auf Nächste an, die Hilfe
geben. Man muss nicht Vater oder Mutter sein, aber
väterlich-mütterlich zu Kindern sein ist nötig zum Menschsein