Kolumne 6. September 2003 -
Nach Streit mit Eltern die freundliche Nähe suchen
Traugott Giesen Kolumne 06.09.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Nach Streit mit Eltern die freundliche Nähe suchen
Ihr meint, die Eltern oder Schwiegereltern könnten Euch oder einen von
Euch nicht leiden - nach langem Wohnen im gemeinsamen Haus kam es raus, eher
zufällig bei einem ungewollten Lauschen. Ihr wurdet Zeuge abfälligen
Redens der Eltern über Euch. Ihr stelltet sie zur Rede. Sie
bestätigten ihre Unzufriedenheit mit Euch, dabei war gar nichts Greifbares
auf den Tisch gekommen; eben nur unfreundliches Gerede, als wäre die
Freundlichkeit der Jahrzehnte nur Tünche gewesen.
Und jetzt redet Ihr nicht mehr mit ihnen, oder nur das Nötigste, und
erwägt wegzuziehen. Ach, das muss doch nicht sein. Ihr müsst Euch
nur Eure Enttäuschung eingestehen, denn Ihr mochtet die Eltern beide
sehr, habt immer gut von ihnen gedacht und nie hinterm Rücken mies
über sie geredet. Wenn das der Fall ist, dann habt Ihr Euch eben
getäuscht. Ihr hattet von der Eltern-Meinung eine zu gute Meinung. Sie
haben sich also all die Jahre nur beherrscht, immerhin eine ordentliche
Mühe, um Frieden zu halten. Ihr habt Euch getäuscht, habt wohl
die Zeichen von Unzufriedenheit und die Spuren von Gerede nie bemerkt. Dann
seid ihr zu Recht traurig; traurig, dass sie Euch doch nicht so mögen,
und betroffen über Euch, dass ihr Euch so getäuscht habt.
Oder war es anders. Auch ihr hattet zwei Gesichter - habt Euch um gutes Verstehen
gemüht, ward hilfsbereit, aber im Inneren auch manchmal sauer über
ihre selbstverständliche Art, Eure Hilfe danklos zu nutzen. Und Ihr
habt auch schon mal über sie geschimpft, natürlich vorsichtig,
hinter verschlossenen Türen. Dann steht es doch eins zu eins, lasst
es für Euch so gelten. Ihr seid enttäuscht, die Älteren jedoch
auch und sie tragen schwerer dran, denn ihr Spielraum ist enger gezirkelt.
Ihr könntet noch was anderes aufbauen, sie nicht. Man wird im Alter
die Leute leid; ganz allgemein, nimmt die Zuneigekraft ab, haltet ihnen das
zugute.
Sucht wieder freundliche Nähe, mit guter Distanz. Ihr müsst sie
nicht zu Freunden haben, nicht zu Euren nächsten Gesprächspartnern.
Sucht ein neues Verhältnis, eben nicht mehr liebe Kinder - liebe Eltern,
sondern gute Nächste. Die ersten besten Nächsten, die sich in der
Not aufeinander verlassen können. Und Ihr wisst, dass die Versorgung
der Eltern mal auf Euch zukommt. Das werdet Ihr bringen - Ihr werdet nicht
alles selbst machen müssen, aber die Versorgung sicherstellen, das
müsst Ihr. Wenn Ihr dem entrinnen wollt, weil Ihr ahnt, dass Ihr
überfordert seid, dann geht jetzt von Ihnen weg, damit sie für
ihr Versorgtsein eine andere Lösung finden können.
Also, es kann weitergehen mit Euch, auch wenn ein Bruch da ist, man kann
sich wieder nähern, kann mit den Jahren eine vielleicht noch bessere,
weil ehrlichere und hellsichtigere Verbindung bauen. Aber sucht Euch echte
Freunde, gleichwertige Männer, Frauen. Eltern sind was Eigenes. Und
seid froh, wenn es leicht für Euch bleibt, Vater und Mutter zu ehren.