Kolumne 27. September 2003 -
Viele Menschen arbeiten mit am Glück der Bauherrschaft
Traugott Giesen Kolumne 27.09.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Viele Menschen arbeiten mit am Glück der Bauherrschaft
Eben nahm ich an einem Richtfest für ein großes Einfamilienhaus
teil. Der Richtspruch der Gesellen vom First aus war gekonnt gebracht, die
Strophen endeten mit "Kamerad, schenk ein". Dann zählte der Architekt
in seiner nachdenklichen Rede auch die Bauschaffenden auf: Die Zimmerleute
und die vorher beim Abbruch Tätigen, die Menschen für Erdarbeiten,
Öltankreinigung, das Bauhandwerk, Blitzschutz, Fallleitungen, Fenster,
Wasser- und Stromversorgung, Klempner und Gartenbau. Zu den 55 Bauschaffenden
aus 14 Firmen kommen die Fachleute für Statik und Vermessung, das
Katasteramt, die Gemeinde, der Kreis, die Banken, Versicherungen, Notar,
Rechtsanwalt, Steuerberater, Steuerbehörden, Architekt und Mitarbeitende,
dazu die Bauleitung. Bis zum Abschluss des Baus, sagte der Architekt, werden
mindestens 200 Handwerker direkt beteiligt gewesen sein, dazu
schätzungsweise über 100 Planer und Verwalter und Hersteller. Und
der Wirt vom Krug und seine Leute, die Spanferkel und scharfe Suppe servierten.
Und hinzu kommen noch die mit dem Innenausbau und der Einrichtung
Beschäftigten.
Wie Schuppen fiel es mir von den Augen, wie viele Menschen mitarbeiten am
Glück der Bauherrschaft und damit Arbeit haben und das Auskommen
erwirtschaften für sich und ihre Familien. Was, wenn dieses Projekt
nicht zu Stande gekommen wäre? Der Bauherrin hätte doch das Geld
verloren gegangen sein können - allein der Börsencrash hatte, so
habe ich gelesen, in Deutschland eine Billion Euro in Luft aufgelöst.
Aus vielen Gründen unterbleibt ein Projekt: Es wird nicht mehr gewollt,
nicht mehr gebraucht, es wird vertagt, eingespart, das Geld zur Bank getragen.
Aber dieses Haus wird gebaut, und damit wird Arbeit in Auftrag gegeben und
bezahlt. Mehrere hundert Menschen haben nicht umsonst ihr Wissen und Können
angeboten, sie sind gebeten und bestellt und in Dienst genommen worden. Sie
können ihre Fähigkeiten zum Nutzen anderer ausgeben. Und erhalten
dafür Anteil an der Fähigkeit des Auftraggebers. Und können
ihrerseits andrerleuts Arbeit in Anspruch nehmen.
Geld ist Anrecht auf die Arbeit und die Waren und die Dienstleistungen anderer.
Geld sammelt und hält bereit das Anrecht auf die Arbeitszeit und die
Produkte anderer. Normalerweise kommen wir an Geld, indem wir selbst für
andere arbeiten. Wenige können die geerbten Anrechtsscheine ihrer Lieben
ausgeben. Nicht immer hat "Der mit dem Geld" auch selbst dafür gearbeitet.
Das muss ja auch nicht sein. Wir können auch durchfüttern und
verschenken, es kann einem ein großer Wurf gelingen - es gibt viele
Möglichkeiten, zu Geld zu kommen. Aber man steht in der Pflicht, das
anvertraute Gut wieder zu verflüssigen in Nutzen für viele - und
das ist auch Arbeit. Freude machen mir selbst, möglichst ohne zu schaden,
und viele davon Nutzen haben lassen - das ist die Kunst. Vom Bauen haben
viele was.