Kolumne 01. November 2003 -
Vor dem Glück kommt der Mut, Angst vorbeizuwinken
Traugott Giesen Kolumne 01.11.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Vor dem Glück kommt der Mut, Angst vorbeizuwinken
Angst kommt von Enge, man geht sogar geduckt, meidet Nähe, sieht sich
als Verlierer. Aber du, du kommst wieder hoch. Du - Es ist ein Willensakt,
eine Art Gehorsam zu Gott oder dem Leben, nenn' es, wie Du es willst. Du
darfst dich nicht aufgeben, Du darfst es einfach nicht, Du bist Leben, das
leben will - also gib deiner Seele frische Nahrung - sie nährt sich
von Freude, von Wohlgefallen, von Lust, von Anerkennung, von lieben Blicken,
von guter Unterhaltung. Also beschaff' dir all solchen Stoff, woher du ihn
auch bekommst. Vor allem nach Krankheit schone dich. Du hast dich viel genug
verausgabt, jetzt lass' es gut sein, lass es dir gut sein. Halte endlich
zu dir. Und besorg dir, was du brauchst; bist du in Not, dann "bitte, suche,
klopfe an" (Jesu Goldner Ratschlag)! - Mehr als Nein sagen, können sie
nicht.
Und: Wir sind nur zuständig im Rahmen unserer Kräfte. Gerade nach
einer Krise liebe dich, bestaune doch dein Hiersein. Und päppele dich
wieder auf, verwöhne dich, spar deine Reserven. Und enttäusche
- sag, es tut dir Leid, dazu fehlt dir die Kraft, aber das und das könntest
du dir gut vorstellen. Du, sei nicht Opfer, nie mehr.
Angst leckt ja die Ich-Kräfte weg; die Säure Angst zerstört
Chancen, den Schutz, die Sicherheit, die Zukunft. Du aber, bau die Angst
ab, du glaub an deinen Bärenmut, deine Flamme "Ich" wird befeuert vom
Himmel her: Du brauchst nur dein Gesicht der Sonne zuwenden, bewusst, und
augenblicklich durchströmt dich ein Heimatgefühl, gern du selbst
zu sein. Auch mit großer Musik beschwingt dich der Heilige Geist oder
durch Lieben oder durch Getröstetwerden von "Am Morgen Vorgelesen".
Lichtblicke löschen die Angst, jedenfalls für jetzt. Das ist
überhaupt das einzig Wahre: Jetzt, hier, heute - mehr brauchst du nicht
sicher zu haben.
Es gibt Auferlegtes, manches ist uns zugemutet. Wir müssen es endlich
annehmen, um weiter zu kommen. Aber Sinnloses schnürt die Kraft ab.
Also sortiere, was dir sinnvoll scheint - daran arbeite kräftig. Was
vor der Hand ist, soll sich lohnen, der Straßenkehrer müsste
verzweifeln, wenn er all die dreckigen Straßen vor sich sähe -
stattdessen sieht er das Teil-Stück Straße eben gerade vor ihm,
das hat er bald sauber, und dann wird er sich auf den Besen stützen
und wohlgefällig über das Geschaffte hin schauen.
Der Schritt jetzt, die Tat jetzt, soll dir gut und richtig sein, jetzt ins
Gelingen vertieft sein, und die Angst war nicht gewesen - hinterher siehst
du es. Es ist wie in der Schule: Beim Aufsatz mussten wir uns drangeben an
das Thema, die Ideen hintereinander aufschreiben wie sie kamen, auch verquere;
dann sie um einen Leitgedanken sortieren, und schreiben, einfaches fließen
lassen, dann die Arbeit abgeben. Ob es dem Lehrer als gut erscheint, das
Urteil ist offen; aber Angst bringt nichts. Vor dem Glück kommt der
Mut, die Angst vorbeizuwinken. Das soll dir heute gelingen.