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Kolumne 08. November 2003 - <br>Gerade an dunklen Tagen saugt es uns in die Häuser

Traugott Giesen Kolumne 08.11.2003 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Gerade an dunklen Tagen saugt es uns in die Häuser

Hinreißend die Wälder, die Farben, die Gärten, die roten Früchte; die welkenden Hortensien, wie die Farbe des Lebens aus ihnen weicht. Man soll es nicht meinen, aber von September bis Februar stockt die Wasserzufuhr in die Zweige, dann stehen die Büsche bald staksig verloren und die Bäume nackt als Astgerippe. Doch schaut man genauer hin, prangen schon Knospen des Neuen.
Auch wir ziehen uns wohl mehr in uns selbst zurück. Schon wie wir eingemummelt schnellen Schrittes die Besorgungen erledigen, hat etwas Abweisendes. Aber drinnen sind wir fleißig - als lenkte weniger Kurzweil uns ab. Jetzt geht manches schnell von der Hand, an Denkarbeit sitzen wir vertieft. Der Feierabend ist länger. Kommen wir zur Ruhe?

Dann kommen auch Probleme auf den Tisch. Was im Sommer von der Leichtigkeit des Seins noch überdeckt war, jetzt kann es über uns hereinbrechen. Jetzt ist es Zeit zu reden. Und die Chance im Problem zu erkennen, ist wie die Knospe unter dem fallenden Blatt. Auch jedem Abschied wohnt ein Zauber inne, ein Freispruch, das Ende von Täuschung. Aber reden muss man, damit im Dunkel die Sterne auftauchen können und Schuld sich klären mag.

Die Tage werden noch um einiges kürzer und Nebel kommt, der alles wattiert. Da ist man in der Stadt gut dran, wenigstens die Ampeln beschaffen Farbe. Und die Schaufenster glitzern, einige Läden beschenken uns mit Schauspielen des Schönen und Feinen. Man sollte mehr die Kunst des Schmückens achten. Gerade an dunklen Tagen saugt es uns in die Häuser, ins Eigene und in die Geschäfte und Lokale. Auch in Buchhandlungen zieht es uns und in Theater, Kinos und in die Läden, die selbst wie große Geschenkpakete erscheinen. Auch Kirchen haben öfter offen - zünd für deinen Liebsten eine Kerze an.

Vielleicht leidest du ein wenig unter Sonnenentzug. Raue Winde wehen von Norden, Regen trieft draußen auf dich hinab. Lass dir das Herbe mal wieder geschehen. "Du bist nicht aus Zucker", sagte man früher. Die frische Kälte auf der Haut zu spüren, das belebt, anderswo wird man für kalte Güsse kräftig zur Kasse gebeten.

Und etwas Melancholie lass dir gefallen. Gib deiner Müdigkeit das richtige Futter, das frühe Bett. Lass dir die Welt auch ein Stück verschwimmen, all zu viel Scharfsicht brennt Löcher ins Gewebe des Lebendigen. Es können dir im Sinnen über Nichts Schwingen wachsen, du ahnst eine lichte Ewigkeit, die deine Seele durchtränkt mit einer sonderbaren Ruhe - dann bist du eingenickt und weißt beim Erwachen nicht, wie lange der Flug währte.

Aber der schwarzen Schwermut tritt entschlossen entgegen. Noch ist die Welt rettbar, und auch dein Ich lauert auf einen neuen Tag. Führe dir deinen Überdruss zu Bewusstsein, sieh als dessen Kehrseiten die Chancen. Deine Eulen haben ihr Recht, aber deine Nachtigallen lass singen. Wir sind schon komisch. Darum ist der Herbst so gut, er entspannt, er lässt uns über uns selbst nachdenken, er macht traurig und wieder froh, warte nur, balde.


 




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