Kolumne 24. Dezember 2003 -
Eine kurze Weihnachtspredigt
Traugott Giesen Kolumne 24.12.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Eine kurze Weihnachtspredigt
Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude:
Uns ist Heute der Heiland geboren! Freunde, wir sind nicht allein. Wir sind
in guter Gesellschaft. Wir sind Kinder und Mitarbeiter der
Schöpfungsallmacht. Wir sind welche, auf die es ankommt, auf die es
Gott ankommt. Wir sollen von seinem großen Projekt wissen. Hier ist
nicht alles egal, hier ist nicht alles schon gelaufen. Sondern hier soll
die Menschheit heil werden, sich mögen und stärken, sich nicht
hindern, sondern ergänzen. Uns fördern werden wir uns, einander
uns lieben.
Aber noch ist bei uns viel Schärfe im Ton. Wir haben noch Angst, zu
kurz zu kommen. Wir wollen uns die Macht über andere sichern, wollen
jedenfalls der Willkür anderer nicht ausgeliefert sein. Darum haben
wir so gerne Arbeit und eigenes Geld. So können wir die Vorteile, die
Sachen, Hilfe, Essen und Spaß kaufen. Und müssen nicht drum bitten.
Groß ist unsere Angst zu bitten. Fast gnadenlos lassen wir unsere Angst
aus an denen, die bitten müssen. Wir Habende nennen es Betteln. Wir
fürchten uns sehr.
Doch auch uns ist heute der Furchtaustreiber geboren, Gott selbst kam, kommt,
kam, kommt als Bittender. Und spricht uns heilig in unserm Bedürftigsein.
Autark sein ist der Tod, einander brauchen ist schön. In jedem Neugeborenen
kommt Gott wieder bedürftig: Nehmt mich auf, seid diesem Kind Gottes
fürsorgliche Eltern, und ihr Erwachsenen, erfolgreich gewordene Kinder
Gottes, nehmt eure alten Eltern auf.
Also das Leben ist ein Gottesgeflecht, eine heilige Schöpfung, da
gehört eins zum anderen, arm zu reich, jung zu alt, grandios und normal,
Himmel zur Erde, Gott zum Menschen. Der Atem des Ewigen macht alles Fleisch
blühen. Auch der Mangel hat an den Rändern den Duft von Fülle
durch Teilen. Ohnmacht hat die Kraft der Güte - sie ist in den Schwachen
mächtig. Auch das Böse ist nur der grausame Hunger nach Erlösung.
Auch Sterben ist nicht Ziel, sondern Heimgeholtwerden. Auch die Natur wartet
auf das Offenbarwerden der herrliche Freiheit der Kinder Gottes.
So ist das alles. Dafür bürgt der zauberhafteste Mensch, den je
die Erde getragen hat. Er ist das Inkognito Gottes und will uns zu seinem
Versteck. Auch wenn wir uns ungläubig die Augen reiben, uns die
Gotteskarätigkeit des Lebens schon vom Zahnweh stehlen lassen, und wir
das Lotto für das Höchste halten - wir bekommen uns nicht
zerstört. Das Geheimnis von Allem bleibt an uns dran, bekommt uns schon
heil.
Darum ja das Bild von der Krippe: Es ist wahr, es ist die Welt im Zustand
der Gnade, Gottes Versprechen: Er legt seine Ehre in den Frieden auf Erden
und dass wir Wohlgefallen aneinander haben. In Armut wird der geboren, der
die Gotteskindschaft von uns allen ausruft. Engel müssens ausposaunen.
Hirten, schlichte Leute beten als erste an. Ein Stern geht auf auch dir.
Auch dir. Auch du ein Christkind, Sohn oder Tochter Gottes. Wir sollten uns
in den nächsten Tagen mit besonderer Achtung begegnen. Fröhliche,
ja glückselige Weihnachten.