Kolumne 19. Februar 2005
Traugott Giesen Kolumne 19.02.2005 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Dir selbst erträglich werden
Keiner hat sich selbst geschaffen. Jeder ist sich manchmal oder öfter
eine Last. Geht es bei dir soweit, daß du gern ein anderer Mensch
wärest? Ganz und gar? Dir sogar einen vorstellst? Also nicht nur von
dem die Figur, und dem das Konto und dem den Partner- sondern du würdest
mit einem tauschen, er selbst sein wollen? Das wäre ein großer
Schicksalsschlag.
Es gibt da eine Geschichte, die handelt vom nächsten Leben. Wir kommen
in den Himmel und dürfen all unsere Lasten an den Erlösungsbaum
hängen, und dann fürs nächste Leben uns eine andere Garnitur
Lasten aussuchen. Und was geschieht? Alle greifen sich ihre gewohnten wieder,
da sind sie wenigstens Fachleute für. Mir sagt die Geschichte, unter
jedem Dach ein Ach, und jeder hat sein Päckchen. Und du bist noch nicht
in den Schuhen gegangen, dessen, den du so beneidest.
Eigenartig- die Christen halten ja viel von der Nächstenliebe. Dabei
sagt Jesus: Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst. Jesus ist
es selbstverständlich, daß jeder sich selbst mögen und lieben
soll. Fachleute sagen, es hapere an der Nächstenliebe um so mehr, als
wir uns selbst auch nicht leiden können. Und andersrum gilt: Wer Gott
liebt, auch für sein Lebendürfen, und wer sich liebt, der weiß
auch, was der andre gern hat und freut sich, wenn er glücklich macht.
Es ist dir geboten, gern du zu sein. Und was ist? Wie oft steckt dir dein
Spiegelbild morgens die Zunge raus und sagt: Ich kann dich nicht
leiden! Wie oft hasst man sich, weil man den andern fertig gemacht
hat. Wie hässlich kommt der Fußballer sich vor, wenn er in der
zeitlupe sein mieses Foul sieht. Wie schäbbig denkt der Mann von sich,
wenn er den Unterhalt schuldig bleibt, wie mies die Tochter, die ihre
altgewordenen Eltern allein lässt. Man kann nicht gut mit sich auskommen,
wenn man sich verachten muß- und das tun wir, unser Gewissen ist
hellhörig.
Das sei deine erste Rettungstat: Was dich runterzieht, lass. Bezahl deine
Verpflichtungen, tu die Fürsorge, zu der dich dein Herz verpflichtet.
Und wenn du zu träge bist? Was heißt hier träge- Du schaffst,
was du willst. Wenn du die Kehrtwende nicht schaffst, dann krieg wenigstens
die Kurve: Weniger essen, weniger rauchen, weniger ausgeben, weniger Ausreden.
Du bekommst eine Belohnung, die ist ungeheuerlich: Du kannst dich stündlich
besser leiden. Täglich klart deine Seele mehr auf, du wirst schöner,
du lebst mehr deinem Willen gemäß. Also höre auf , die Tatsachen
zu zerreden. Vielleicht hast du keine Hoffnung, aber vorläufig optimistisch
kannst du sein. Zwei Triebkräfte fördern dich: einmal ist dein
Unbehagen gesättigt, so willst du nicht mehr. Und zweitens: du wirst
dir ein Freund, du bekommst gute Empfindungen. Und wirst dann auch
erträglicher. Vielleicht bist du eines andern Angriffsziel, das macht
dich klein. Such ihn auf, gestehe Versagen ein, sag Wiedergutmachung zu.
Vielleicht erlässt ers dir und es genügt ihm dein
Eingeständnis. Überhaupt: Versuch zu verstehen, dich und andere.
Denk die Reihe der Auswirkungen weiter. Noch kannst du entscheiden, wos mit
dir lang geht.