Kolumne 26. März 2005
Traugott Giesen Kolumne 26.03.2005 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Ostern nun ist die erhellendste Klärung
Es gibt Kunststücke, Städteansichten, literarische und musikalische
Werke, die zählen zum Menschheitsschatz; und es gibt Gedankenbilder,
die erheben uns zur wahren Größe. Das Bild von der Erschaffung
Adams aus der Sixtinischen Kapelle in Rom etwa strahlt wunderbare Kraft aus:
Gottvater - übrigens mit Eva im Arm - berührt von Fingerkuppe zu
Fingerkuppe den aus Erde Gekneteten und erhebt ihn mit seinem Geist, daß
sie fortan leben "im Konvoi" (M. L. Kaschnitz).
Ostern nun ist die erhellendste Klärung, zu welchem Ziel das Leben reiche.
Der Mustermensch Jesus hat aus dem Vertrauen gelebt, daß wir von guten
Mächten wunderbar geborgen sind. Die Kirche damals aber meinte, die
guten Mächte seien nur denen zugetan, die pflichtbewußt die
religiösen Gebote befolgen. Gehorsam gegen Moses Gebote soll die Güte
Gottes beschaffen. Jesus jedoch setzt sein: "Ich aber sage euch dagegen:
Gott läßt die Sonne seiner Güte scheinen für Gute und
Böse". So heilte Jesus die Kranken, ohne nach ihrer Konfession zu fragen.
Und vergab, weil sie es brauchten; nicht weil sie es verdient hatten. Er
besorgte den Menschen neue Chancen, gut von sich zu denken; neuen Mut, neue
Würde, beschaffte ihnen Auferstehung mitten am Tag.
Irgendwann kam es zum Entweder-Oder: Entweder Mose und der Gott des Vertrages:
Gehorsam gegen Treue. Oder Jesus und der Gott der Liebe, der
Großherzigkeit. Entweder der Herr der göttlichen Heerscharen oder
der Mitleidende, der durchs finstere Tal mitgehende
väterlich-mütterliche Gott.
Die Priesterschaft im Verbund mit der Staatsgewalt brachte den Jesus wegen
Gotteslästerung ans Kreuz. Jesus aber nimmt sein Kreuz nicht passiv
auf sich, sondern in höchster Passion, solidarisch mit allen, die unter
die Räder der Gewalt kommen. Er trägt die Sünde der Welt mit,
die ihn henkten, taten es ja guten Willens; sie wußten nicht, was sie
tun; wie alles Morden verzweifelt und nur wahnsinnig ist. Jesus sieht sich
und alle Geschändeten nicht von Gott verlassen, sondern von Gott aufgenommen
und heimgeholt.
Ostern ist dann der Sieg der Liebe, Sieg des Gottes der Güte und der
Heilkraft. Wenn auch der irdische Leib wieder zu Erde wird, wird doch unser
Ich auffahren mit Flügeln wie Adler. Nicht weil wir etwas Unsterbliches
an uns haben, sondern weil Gottes Mitunssein für immer ist. Wir werden
auferstehen von Mangel, Dunkelheit und Tod. Diese undenkbare Hoffnung besorgt,
für jeden mit, der "Erstgeborene von den Toten." Ihm nach steht uns
schon jetzt ein Leben zu, das den Tod bereits hinter sich hat.
Natürlich werden wir alle noch sterben, aber Tod als Vernichtung ist
nicht mehr. Vor uns immer Glücken und Verbundensein, immer Verantwortung
und Wichtiggenommensein - ausgespieen hat Jesus mit der Furcht vor dem Tod
auch die Furcht vor dem Leben. Feiern wir Ostern so glücklich wie
möglich.