Kolumne 30. Juli 2005
Traugott Giesen Kolumne 30.07.2005 "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Gegen das Gejammer: Alles Leben ist Problemelösen
Wem es zu gut geht, den ärgert die Fliege an der Wand. Man denke nur
an das Gequake, das wir bei schlechtem Wetter im Urlaub anstimmen oder ertragen
müssen. Ist es zu heiß, beklagen wir, die schattigen Plätze
zu Hause gelassen zu haben; läßt sich länger die Sonne nicht
blicken und den schon bezahlten Strandkorb lassen wir leer, dann ziehen die
Familien lustlos über die Shopping-Meile, nur damit die Zeit vergeht.
Na, einiges wird auch gekauft, aber so mancher Frustkauf ist dabei.
Sieht man die vollgepackten Autos mit der Fahrradladung huckepack, dann ist
es klar, daß der Urlaubsort oder auf dem Rückweg der Heimatort
in einem Rutsch erreicht werden soll. Die Nerven liegen blank- man war wieder
nicht klug genug- dachte, man kommt schon glatt durch. Wer hat dann den
Durchblick, verordnet sich die Stunde Schlaf oder legt gar einen ganzen Tag
zu?
Die Probleme rund um den Urlaub sind typisch für die meisten unserer
Kompliziertheiten. Da ist zu wenig Planung, zu wenig Rechnen mit den Tücken
der Objekte, zu wenig Zeit, falsches Material, Überfülle,
Ahnungslosigkeit, zu wenig Absprache zwischen den Beteiligten. Routiniert
funktionieren die Abläufe der täglichen Arbeit, eingespielt sitzen
die knappen Gespräche im Alltag. Im Gewohnten kommen wir ohne viel Gejammer
aus, wissen uns aus dem Weg zu gehen und sind meist zu müde für
Streit um Lappalien. Aber in ungewohnten Lagen, in fremder Umgebung muß
man sich neu orientieren. In der Ferienwohnung muß die Familie
plötzlich mit einer Toilette, einem einzigen Fernseher auskommen. Ganz
neue Verzichte verlangt der Ausstieg aus dem Beruf. Fällt bei einem
der Dienst plötzlich weg, ist die verbliebene Arbeit in Haus neu zu
verteilen, alte Rücksichtnahmen sind nicht mehr nötig, Partnerschaft
muß neu austariert werden. Und wo gibt es neue Erfolge?
Das Gewicht eines Problems wird brutto gewogen; wir sind einbegriffen
(S.J. Lec). Probleme haben allermeist mit uns selbst zu tun, sie sind
in uns selbst angelegt. Jeder Umbruch ist wie ein Sturm, der ein Stück
Küste freilegt. Die Schwierigkeiten liegen nur flach verscharrt unter
dem Gewohnten - eine falsche Bewegung, ein falsches Wort, ein Augenblick
der Unachtsamkeit, und innen ist Not. Viele Probleme erzeugen wir aus mangelnder
Selbsterkenntnis. Also können wir die auch schrumpfen lassen. Bitten
wir den nächsten Mitmenschen, unsere eigene Beklopptheit zu enttarnen,
er täte nichts lieber, und würde noch um Gegenseitigkeit bitten.-
Für Paare tun sich da ganze Felder neuer Erfolge auf. Andere Probleme
dauern und dauern. Noch zu keiner Zeit ist die Welt in Ordnung gewesen. Immer
kämpfen Jung-Alt, Mann- Frau, Arm-Reich, Ich-Wir um erträgliches
Auskommen. Leben ist Problemelösen für heute, durchkommen,
einigermaßen und doch, dem anderen sein gutes Gesicht zeigen.