Kolumne 4. November 2006
Traugott Giesen Kolumne 04.11.2006 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Sie sind allein. Soll sich das ändern?
Sie fragen, wo die Männer sind? Ja, sie sind beim Fußball oder
in der Kneipe, im Sportverein oder bei der Tafel ihres Wohnortes, die freies
Essen ausgibt. Auch in der Feuerwehr, in Hobbyklubs, in der Politik. Sie
pflegen Bekanntschaften, Nachbarschaft, Freundschaft. Man muss sie nur finden.
Muss hingehen. Und Anzeigen lesen, beantworten, aufgeben. Die
Kinderbekanntschaften noch mal sichten, die Schülerlieben.
Kämmen Sie mal alle Befreundungen durch und die entfernte Verwandtschaft.
Ist da nicht einer, den Sie übersehen haben, nicht einer, den Sie vorschnell
verwarfen, den Sie aber doch mal gern wiedersehen würden? Und haben
Sie alle Chancen in ihrem Beruf genutzt?
Überhaupt: Wie erklären Sie sich Ihr Alleinbleiben? Haben Sie einen
hochmütigen Zug oder Menschenscheu, fremdeln Sie und sind eher abweisend
als einladend? Würden Sie ein Talent noch mal mehr entwickeln wollen,
eine Unart bearbeiten? Bitte. Achten Sie auf Ihr Äußeres, kleiden
sich geschickt?
Was ist mit Ihrer Menschenfreundlichkeit ganz allgemein? Hat Enttäuschung
Sie eng gemacht, sparsam auch im Humor, in Kollegialität? Dann ist noch
viel zu machen. Fragen Sie mal einen Menschen, der es gut mit ihnen meint.
Oder fehlt der schon, der, die eine, mit dem man offen reden kann?
Dann kann es an Wahrnehmungsschwäche allgemein mangeln. Und Sie merken
zu wenig. Dann müssen Sie lernen, wahrzunehmen. Systematisch lernen,
die eigenen Gefühle zu spüren. In die Schule der Aufmerksamkeit
gehen, auf die Straße. Im Straßencafé Menschen gucken,
dem und dem in die Augen sehen, der einen netten Eindruck macht. Und gerade
mit dem Schauen bei dem verweilen, der auch auf der Suche nach Leben scheint.
Und nicht sofort äugen, was Sie stört, sondern was an dem und dem
sympathisch ist.
Vielleicht ist es ganz anders. Ich las bei H. Bodkey: "Obwohl Dan mir
erzählt hat, dass er einsam ist und es gern nicht mehr wäre, halte
ich das für milden Kitsch und nehme an, dass er im wirklichen Leben
derjenige ist, der in seiner Umgebung meistens das Wort führt, vielleicht
sogar immer." Nützt Ihnen das etwas?
Vielleicht auch ist das Thema Mann-Frau gar nicht Ihr vorrangiges. Vielleicht
fehlen Ihnen Menschen. Und Sie Ihnen. Wer einsam ist, der lässt auch
allein. Ihnen fehlt der richtige Mann, meinen Sie, vielleicht fehlen Ihnen
Menschen. Was meinen Sie, mit wie vielen sind Sie befreundet? Alte, Junge,
Kinder, Greise, Frauen, Männer, Deutsche und Zugewanderte?
Sie sind auf eine spezielle Weise in einem großen Glück. Sie haben
so viele Begegnungen noch vor sich. Sie können eine kleine Fangemeinde
mit Ihrem Namen eröffnen. Und jeden Tag aufschreiben, wenn Sie
gegrüßt haben und wie reagiert wurde; wie waren Sie zuvorkommend,
und was hat es gebracht?
Bittet, suchet, klopfet an, sagt Jesus; wer sucht, wird finden. Aber man
muss sich auch finden lassen. Zu viele Wartende ließen Sie einsam;
kann das sein?