Traugott Giesen Kolumne 21.03.1997 Hamburger Morgenpost
Es muß doch Frühling werden.
Natürlich hilft alles Bitten und Betteln nichts - wir müssen uns
dem Wetter fügen. Es ist ungefähr die letzte Bastion des Schicksals.
Da kann man nur mit, nicht gegenan.
Doch weil wir dem Wetter so ausgesetzt sind, würden wir schon gern
höhere Kräfte in Bewegung setzen. An den Herrgott trauen wir uns
nicht 'ran; aber Petrus ist ja einer von uns, der könnte doch was drehen.
Denn wir wünschen's uns schon sehr. Und was wir uns dringend wünschen,
das müssen wir wem Stärkeren sagen. Darum steht Petrus ja hoch
im Kurs und der Blick zum Himmel soll Schicksal erweichen.
Klar ist - wir brauchen Sonne. Körper und Seele lechzen nach Helle und
Leuchten. Warm soll es uns werden in linden Lüften. Wir wollen wieder
Blumen sehen, das Blühen soll unsere eigenen Kräfte in Wallung
bringen. Unser Gähnen ekelt uns schon selber an. Wir wollen raus, wo
Bäume und Büsche knacken vor Wachstum. Schon kann man morgens den
Choral der Vögel hören. Auch Schneeglöckchen und Krokusse
sind schon da - doch, bei soviel Regen und dazwischen immer noch Schnee,
wünscht man sich zweitausend Kilometer südlich.
Doch ein Trost: Die Bilder vom Frühlingserwachen sind bei uns - Forsythien
und Magnolien, Zierkirschen und Birken mit ihrem grünen Hauch - sie
kommen. Keine Angst. Nur noch Stunden, Tage noch. Bald ist das Warten vergessen.
Auf einmal steht die Helle im Raum. Der Himmel ist gleißendes Blau.
Und dann der Flieder. Und wieder Schmetterlinge. Und luftig angezogene Menschen.
Jedes Jahr ist es uns wohl zu lang, das Warten auf die Sonne und die Wärme.
Die starre Natur legt viel Kreatur in den Winterschlaf. Nur wir Menschen
und die Hühner unter künstlichem Licht, sollen über's ganze
Jahr wirken. Vielleicht ist das ein guter Vorschlag der Leute vom Bau: Es
soll eine Jahresarbeitszeit geben, die uns mehr schaffen läßt
wenn die Arbeit leichter von der Hand geht und mehr ruhen läßt
bei Schnee und Kälte.
Aber die meiste Arbeit geschieht ja im Haus, jedenfalls unter Dach. Und denken,
kochen, pflegen, schreiben, lehren, regieren - können wir gerade bei
Kälte und Dunkel draußen auch gut, jedenfalls effektiv. Und trotzdem
müßte man mal untersuchen, ob die Gerichte im Sommer besser gelingen,
die Artikel zuversichtlicher, die Pflege engagierter, die Lehrenden und die
Schüler lehr- und lernlustiger sind wenn der Frühling da ist.
Ist es draußen schön, geht alles leichter von der Hand, auch weil
man raus will. Sicher sind wir weniger mürrisch; aber warum? Vielleicht,
weil wir bei sattem Frühling einfach keine Ausrede mehr haben für
Maulen und Knüttern. - Egal, Frühling, jetzt komm 'ran, zeig dich,
mach uns schön. - Die Zeit drängt, laß dich küssen.