Traugott Giesen Kolumne 02.05.1998 aus Hamburger Morgenpost
Dein Leben ist der Mühe wert
�Und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit
gewesen, das Leben: es fähret schnell dahin, als flögen wir davon�
� so heißt die Nummer neunzig im Liederbuch der Bibel, dem Psalter.
Das war mal mißverstanden worden als hohes Lied auf Schinden und
Rackern. Doch ich erleb es als Wahrheit: köstlich die Leidenschaft,
etwas zu bewirken, köstlich das Leben, weil ich es mitgestalten kann.
Ich bekomme es nicht vorgesetzt wie festgeschmiedet ans Ein-Kanal-Fernsehprogramm.
Sondern fast bis zum letzten Atemzug dürfen wir doch mitmischen, mitfühlen,
mitgestalten. Die Tage, die Stunden sieh sie als Anlässe für
Liebe und Staunen. Wir dürfen mitentwickeln, was aus uns wird. Wir
können ja sagen und nein sagen, ich und du und wir. Wir haben doch
Spielraum, noch Besseres draus zu machen. Das erleb doch als Glück,
das Arbeit macht und Arbeit ist.
Du findest die Lücke, wo genau du mit deinen Begabungen reinpaßt.
Wenn du Gier hast, dich zu mühen, wenn du zeigen willst, was in dir
steckt, wenn du Anstrengung in Kauf nimmst, lernlustig und flexibel bist
� dann findest du die Stelle, wo du gebraucht wirst. Und wirst immer kompetenter,
dir wird mehr Verantwortung übertragen, du wirst immer nötiger
und so auch teurer, das Geld läuft dann auch; sorg du dich um die
Menschen. Sieh sie als Kunden, die du zufriedenstellst und die dann auch
wegen dir wiederkommen.
Jeder Mensch hat was, womit er nützen kann. Vielleicht hast du
das für dich Richtige zur falschen Zeit gelernt. Das ist schlimm:
fertig ausgebildete Lehrer, Ärzte, Pastoren, Maurer, Krankenschwestern
werden auch noch Taxifahrer/innen. � Aber die neue Telefondienste suchen
Kundenberater, die Werbung sucht Texter. Lern noch was dazu, such eine,
deine Kombination � ja, unter Mühen, aber doch mit Lust.
Du hast doch noch Jahrzehnte vor dir, in denen was von dir geschafft
sein will, was so nur du konntest. Entwicklungshilfe hier ist nötig,
die Menschen in Arbeit zu bringen. Wir müssen uns heute ausprobieren
in mehreren Rollen und neuen Kombinationen. Der, die Dekorateurin heute
kann auch etwas polstern und Teppich legen, und lernt zu verkaufen, trainiert
den Geschmack, wird fixer und übt, ja übt freundliches Auftreten.
Und wer macht sich selbständig als der Service-Mensch, eine Mischung
aus Hausmeisterin und Handwerker und Pflegender? Der gute, die gute Nachbarin
müßte im Stundenlohn orderbar sein. Bitte hab Zutrauen zu dir,
will Gutes bewirken. � Und wenn du dich vor den Dom stellst mit Schild:
�Ich bete für Ihr Anliegen.� �
Behalte und entwickle deine Lust, etwas gut zu machen. Köstlich
sollst auch du mal fürs Leben gewesen sein, wenn du davonfliegst.