Traugott Giesen Kolumne 12.12.1998 aus Hamburger Morgenpost
Keine Angst vorm Schenken
Du bringst es, Freude zu machen. Du magst Menschen, also magst du sie
überraschen, nicht zu viele, aber doch zwei, drei Hände voll.
Oder kannst du an einer Hand abzählen, die du beschenken willst? Es
gibt Menschen ohne einen Nächsten. Die haben lange keinen persönlichen
Brief mehr erhalten, sie werden ihrer Katze ein besonders feines Häppchen
besorgen und einen Plastikweihnachtsbaum, damit sie beide es kümmerlich
schön haben.
Aber du wirst Menschen beglücken. Du kannst es doch nicht lassen
zu erfreuen. Dir fehlte was, wenn du nicht für einige Menschen dein
Herz sprechen ließest. Dein Innerstes wäre ärmer, wenn
du auf Schenken verzichten müßtest. Du bist ja ein ganzes Jahr
mit ihnen im Gespräch gewesen, hättest es noch mehr sein wollen.
Sie gehören zu dir, sie bilden den Kreis des Verläßlichen.
Weil sie da sind und du von ihnen weißt, bist du mehr du. Du beschenkst
dich mit der Freude, die du ihnen machst.
Das ist unabhängig davon, ob sie dir auch was schenken � sie werden
es tun, aber vielleicht nachlässiger, gehetzter � macht nichts. Du
bist ein Meister der Zuneigung. Du lebst ihr Leben mit, merkst dir ihren
Mangel, du notierst, was sie erfreut, ohne daß sich ihr Wollen in
ein konkretes Wünschen formt. Du hast es gemerkt, was der andere noch
gar nicht entbehrt. Du ergänzt ihn, weil du ihn magst. Du fühlst
vor ihm für ihn. Das hat was von Liebe, sei's drum. Dazu braucht es
nicht zuerst Geld, sondern zuerst die Lust zu erfreuen. Diese Lust, glaub
sie dir. Gerade auch, wenn der Betreffende geizig ist für sich und
andere � du wirst ihn stutzen machen. Nicht beschämen, aber zeig ihm
dein freundliches Gesicht. Er könnte sich noch einmal als geliebt
entdecken und das Lebendigsein noch einmal schätzen lernen � wegen
dir. Das wäre ein großes Glück, und zwar für dich.
Denn du schenkst Leben � mehr geht nicht.
Ein Mensch zeigte mir stolz ein Fotoalbum, schlicht aus Blättern
Papier zusammengebunden und beschriftet: �Spaziergang am Sonntag�. Das
erste Bild zeigt die alte Dame vor einem großen Tortenstück
im Café � sie schlägt die Hände zusammen. Eine ganze Bilderserie
mit immer kleiner werdendem Tortenstück, und dann lachend die Frau
vor leerem Teller. Dann Bilder vom Verdauungsspaziergang, vor einem schicken
Auto baut man sich auf, als hätte man es eben in der Lotterie gewonnen.
Noch ein Foto vom Sonnenuntergang, dann ein Bild vom Abschiedsschluck,
als man die alte Dame wieder gut nach Haus gebracht hatte, und noch ein
letztes Winken durch die Scheibe � das Fotoheft schließt �mit lieben
Grüßen als bleibende Erinnerung an deine lieben...� So leicht
ist Freude: Ein Stück Zeit und Phantasie und eben eine Menschenliebe,
wie jeder sie wünscht.