Jenseits
Beitrag aus "Die Nordelbische", 13. September 2006
Wohin führt die letzte Reise?
Als ich meiner Frau erzählte, Die Nordelbische habe bei
mir einen Beitrag angefragt übers Jenseits, da sagte sie:
Kennst Du Dich denn da aus? Zum Glück hatte ich den Text
da schon fertig.
Wenn wir uns das Jenseits ausmalen, dann sind alle Farben von hier genommen.
Dem islamischen Jungmann werden Jungfrauen und Pferde versprochen, der
christliche Philosoph Kierkegaard träumt davon, unter Rosengärten
ewig mit Jesus reden zu dürfen, der Seher Johannes im Exil auf einer
kargen Insel malt sich das Goldene Jerusalem im Himmel aus und der immer
Hungrige freut sich aufs Schlaraffenland.
Weil unser irdischer Mangel unsern Wünschen die Farben gibt, ist unser
Wünschen nicht schon Illusion. Denn die Triebkraft unseres Wünschens
ist heilig, ist gottgegeben. Unsere Seelen haben einen solchen Überschuss
an Sehnsucht, dass wir auf Erden nie satt werden. Wir werden immer unabgefunden
in unsern Wünschen sterben.
Unser Mangel hier schreit nach Vollendung, wo auch immer. Hat uns Gott tief
ins Herz gelegt die Sehnsucht nach dem Reich, da Fried und Freude
lacht, dann wird er uns schon nicht eine lange Nase drehen. Wenn er
uns süchtig macht nach sich, dann wird er uns auch bei sich stillen.
Alles Schöne dieser Welt ist erst ein Anfang, und nimmt seine Wucht
aus der himmelssüchtigen Seele. Alle uns überirdisch klingende
Musik zieht uns schon von den irdischen Schmerzen ab in Richtung Vollendung.
Alles Lieben ist nur Vorfreude.
Wissen wir auch nicht, wie Gott seinen Himmel möbliert, so wollen wir
doch dabei sein, wenn er feiert. Wenn die Heiligen bei Dir einziehen, lass
mich dabei sein doch, zumindest soweit sollte unsere Phantasie reichen.
Wunschlosigkeit in Sachen ewiges Leben ist nicht Bescheidenheit, sondern
Armut. Zumindest mit Neugier sterben, diesen Wunsch sollten wir uns gönnen.
Auch wenn wir wortkarg geworden sind beim Aufzählen, wie und was. Mir
hilft da eine Anleihe bei den weisen Rabbinen: Was macht denn Gott
, wenn nicht alle seine Kinder in den Himmel passen? Dann reißt er
die Wand zur Hölle ein und der Himmel ist ein großer Tanzsaal.
Was erwartet uns? Gott erwartet uns, der väterlich, mütterliche
Lebensgrund. Mit Gott ein Ganzes bilden, das wirds sein. Und was ist
mit unseren Sünden? Gott kommt damit zurecht, bringt uns damit zurecht.
Und sehen wir uns wieder? Alle sehen alle, wir sind in Gott, der alles in
allem sein wird.
Ich habe fast einen Beweis dafür, dass Gott noch so viel mit uns vorhat:
Weil Durst ist, ist Wasser. Weil so viel Sehnsucht und Leid herrscht, steht
noch Vollendung bevor. Weil wir nur einen kleinen Teil davon leben, was in
uns ist, muss sich Gott doch um den großen Rest kümmern. Wir alle
liebten nicht genug, darum brauchen wir den Himmel.
Der große Philosoph Ernst Bloch, gefragt, was er denkt, wenn er an
den Tod denkt, sagte: Neugier, Jagdtrieb, Flügelschlag.
Und meine Großmutter verabschiedete sich von uns: Kommt nicht
so oft zum Grab, wir sind nicht hier.
Ich kann das bilderlose Jenseits gut aushalten, wissend: Auch auf der
Rückseite der Zeit ist die leise knisternde Macht, die ich als Lebenswillen
spüre, am Werk und will mich und dich.