Traugott Giesen: Beten ist
menschlich
Letzte Adresse für Dank und Klage ist Gott.
Auch wenn wir nicht wissen, ob unser Beten erhört wird, müssen
wir uns aussprechen vor dem Herz aller Dinge. Daß wir gehört werden,
ist schon Erhörung. Nicht ein leerer Weltraum hüllt dich ein, sondern
ein Wille, daß du bist, trägt dich, betreibt dich, ist für
dich ganz Ohr. Auch die Selbstgespräche meinen Ihn, das Gewissen der
Welt, das in mir ein Depot hat. Ich weiß, daß einer hinsieht
und mitfühlt und von mir Antwort sucht.
So wird Beten nicht erst dann wahr, wenn es
in Kirchensprache von Alter geadelt ist. Auch ohne Anrede und Amen erreicht
mein Denken und Fühlen den Grund der Welt. Das "Gott sei Dank" nach
komplizierter Operation, das "Warum ich?" in Verzweiflung zielt auf Gott
und kommt an im guten Ganzen.
Doch das Gebet in der Gemeinde ist Energieschub
sondergleichen und Kraftquelle. Hervorkommend aus dem Alltag, sucht Gemeinde
das filternde und umfassende Wort. Dies stützt sich auf Erfahrungen
der Generationen mit dem Sinngeber aller Dinge. Vor allem das Gebetbuch der
Bibel, der Psalter, und eben dieser Jesus Christus, Ohr und Mund Gottes bei
den Menschen - sie haben uns das Leben gelichtet, sind uns Sprachlehre von
Zusammenhalt und Trost. Der einzelne nimmt im Gottesdienst sich wahr als
Teilnehmer des unendlichen Gespräches Gottes mit seiner Kreatur. Musik
und die einknüpfenden Texte heben mich auf einen Sprachstrom, der mein
Lebensschiff trägt. Am Lotblei von Jesu Leben kann ich Tiefen und Untiefen
von Tun und Lassen messen. Betend ermittelt die Gemeinde den Kurs. So speisen
sich die Gebete in Gemeinschaft aus mehreren Zuflüssen: der geprägte,
festliche Anlaß dieses Tages, die Gespräche mit den Texten der
Bibel, die Unterredungen mit vielen über die Woche und natürlich
des Betenden eigene Zwiesprache. Viel Heiligen Geist braucht es, um sich
hinzustellen und stellvertretend auch für andere Gott anzusprechen.
Allein schon dieser öffentliche Akt - da spricht einer Gott an, und
alle verstärken mit "Amen" - Aufschein von Ewigem. In hoffentlich haltbarer
Sprache wird das Vertrauensnetz geflochten, dem einzelnen in seinem Alltag
zum Halt. Die Gebete der Gemeinde ordnen Wunsch und Bitte, so daß jeder
in der neuen Woche besser sortiert selber weiterbetet. Nicht allein im
Gottesdienst erwachen innige Gebete, sondern zwischen den Zeilen des Normalen
und in Konflikten und bei heller Freude betet es in uns, dankt für
Gelingendes, bittet um Vergebung für Versäumtes, hofft auf Kraft,
den Tag zu bestehen. Vor Gott leben ist Beten. Doch manchmal müssen
wir's sagen. Denn unsere Seele ernährt sich von Worten.
Daß unsere Worte hin zu Gott erfüllt
mit Leben sind und das Leben Zwiegespräch mit dem guten Ganzen wird,
immer mehr, ist der Stoff aller Gebete.
Keiner kann des andern Gebet sagen, und doch
kann einer Beten wieder neu lernen am Geländer von Gebeten anderer.
Tastend das Seine hinzusagend, kann er sich vor Gott ins Gebet nehmen und
Licht nach und nach aufgehen sehen über das Ganze.
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von Lebensmut