Keitumer Predigten Traugott Giesen
Beerdigung R. B.
Mit unseren Gedanken und Erinnerungen, mit unserer
Trauer und unserem Dank sind wir versammelt im Namen Gottes, dem alles Leben
gehört, der mit R.B. zu tun hatte 25 Jahre und es zu tun behalten will
auf immer.
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir! Herr vernimm
unser Klagen! Wenn Du nicht die Zerrissenheit heilst, wer sollte
bestehen?
Hört aus dem 1. Korintherbrief des Paulus
das Hohe Lied der Liebe:
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen
redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein mißtönend
Erz oder eine klirrende Schelle.
Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüßte alle Geheimnisse
und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen
könnte und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.
Und wenn ich all mein Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib
brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir´s nichts
nütze.
Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die
Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält
sich nicht ungebärdig, sie sucht nicht das Ihre, sie läßt
sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich
nicht der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit. Sie erträgt
alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles, dem Nächsten
zugut.
Die Liebe hört niemals auf, wo doch unser prophetisches Reden und Machen
und Können aufhören wird.
Unser Wissen ist Stückwerk, unser Reden
ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, wird das
Stückwerk aufhören.
Wir sehen jetzt wie in einem beschlagenen Spiegel
ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich
stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.
Liebe Eltern, lieber S., liebe B., J., liebe
Verwandten und Freunde und Helfer und Gefährten und treue Begleiter,
-
ich werde erkennen, wie ich erkannt bin, wie
ich gemeint bin, wie ich von immerher von Gott gemeint bin. Wir werden es
erkennen von Angesicht zu Angesicht.
Sie, R., ist face to face mit Gott, ist in der
Fülle, im Glück, ist Gottes Imago, Gottes Bild. Sie ist von der
Liebe heimgeholt, und Ihr wart Zeuge und Leidende, Ihr wart Gefährten
und stellvertretend für sie Glaubende. Ihr wart auch die, für die
sie, R., mitglaubte. Sie hat Euch oft die Angst weggestreichelt. Sie ist
voraus, und wir sind die Hinterbliebenen, die Dahinten-Bleibenden. Vorweg
sie in der Fülle.
Es hat damit zu tun, dass wir angesteckt sind
von Liebe, von der Sehnsucht, verbunden zu sein allem und jedem. Das macht
uns sehnsüchtig nach Ewigkeit, sehnsüchtig nach Fülle und
Ganzheit. Die Kehrseite ist, dass wir hier Invaliden höherer Kräfte
sind, dass wir hier keine bleibende Statt haben, sondern immer Suchende,
Tastende, Berührende sind. Verweile doch, du bist so schön und
nur der Augenblick ist mein.
R. hatte so viele glückselige Augenblicke.
Wie selten ein Mensch war sie begabt, intuitiv Glück zu spüren
und Liebe zu leben. Die Kehrseite dieser Berührbarkeit von Glück
ist das Mitleiden an dieser schönen, wunderbaren, schmerzlichen Erde
mit ihren Kompliziertheiten, mit unseren menschlichen Schwächen, mit
Gewalt und Unrecht.
Und sie hatte gerade einen so direkten Zugang
zur Natur. Sie konnte sich als Baum oder Blüte sehen, und hat in jedem
Verblühenden ihr eigenes Hinscheiden schon tausendmal vorweggelebt.
Sie war darin mit einer ganz dünnen Haut nur ausgestattet, eine ganz
dünne Haut über ihrer Seele. Sie schlug mit dem Lebendigen sehr
direkt. Vor allem mit Euch Eltern, mit B. auch, obwohl ihr auch voneinander
weggelaufen seid. Diese immerwährende Wiederkehr der Schwester und das
Glück ihres Lebens, dass S. kam zur rechten Zeit.
Sie hat den Schatz des Lebens ausgetrunken bis
zuletzt. Sie hat ihre Sehnsucht immer glühender empfunden und das Ziel
des Weges immer inniger herbeigesehnt, wissend, dass dieses Wegende vor eine
Tür führt, die sich öffnet in die Fülle.
Die Liebe, sagt Dante, betreibt das Universum
und die Gestirne. Es ist der Herzschlag Gottes, der die Welt treibt, im Dasein
hält und Kreaturen für einen Hauch lang. Und schon dieser Hauch
Zeit genügt, um uns unentrinnbar anzustecken mit dieser in diesem Leben
niemals abgefundenen Erwartung.
Ja, wir sehen jetzt wie in einem beschlagenen
Spiegel nur andeutungsweise, wer wir sind. Nur die Liebe kann den anderen
nachzeichnen, wie er gemeint ist. Und dass ihr so viel Stärkung ihr
geben konntet, so viel Zeichen "Du bist geliebt!"
Sie hat das Sterben-müssen nicht als Verneinung
begriffen, sondern für sich ganz allein als Beförderung. Nur, es
verletzt uns bis ins Mark hinein, wenn wir unsere Tochter, unsere Schwester,
unsere Ehefrau so von uns losgerissen sehen: wir sind die Verwundeten.
Aber Ihr habt das Wichtigste getan. Ihr habt
ihr schon zu Lebzeiten in diesem beschlagenen Spiegel ihr Profil nachgezeichnet:
Du - geliebt, Du - gebraucht. Darum war es nicht Flucht von hier, sondern
Aufgabe! Sie wäre gern geblieben, sie wäre gern geblieben!
Aber um ihretwillen werden wir auch mal, auch
um ihretwillen werden wir mal gerne gehen. Sie ist vorweggenommen in ein
Haus von Licht. Freispruch für Euch zum eigenen neuen Leben. Bis dass
der Tod uns scheidet, nicht länger. Weil wir ihr die Liebe nicht
hinterhertragen müssen. Keine nachgetragene Liebe, weil sie doch in
der Fülle ist. Wir werden ausgestattet mit Zuversicht auch wegen ihres
Glaubens. Freispruch, jetzt an Dein eigenes Leben zu gehen, Deine Zeit, Deine
Sehnsucht, Deine Liebe. Wir werden alle noch Beute machen müssen. Unsere
Seele, wenn sie ankommt bei Gott, sie muß satt sein von Mühe und
Arbeit und Glückseligkeit und Verlust und Schuld und Vergebung. Sechzig
und kein bißchen weise, das darf nicht sein. Sollen uns unsere Kinder
vormachen, was wichtig ist im Leben ? Sie ist weise geworden, wir können
auch, weil sie jetzt so starb, weise werden und dürfen unser Leben
glückselig, schmerzlich wunderbar sein lassen. Es ist Übung. Leben
ist Schule Gottes. Leben ist Geboren-werden. Sterben ist zu-Ende-Geboren-werden.
Das Leichentuch die letzte Windel, bis wir reif sind für Gott.
Ach ja, es ist doch gut, dass wir, was an unseren
Liebsten sterblich ist, ablegen dürfen. Und Keitumer Kirche, Keitumer
Friedhof ist ein guter Ort, abzulegen, - lay down my burden, down by the
riverside, - ein Stückchen auch hier. So nah am Taufstein, über
dem sie eben getauft wurde, ruht das, was irdisch ist. Aber sie selbst ist
heimgekehrt, denn das Wort zur Taufe galt ihr, R.: "Fürchte dich nicht,
ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein", spricht Gott. Und
mit wem er gesprochen hat, mit dem spricht er unendlich. Unter Rosengärten
ewig mit Jesus reden, lachend, weinend, glückselig. R. ist vorweg, -
ein Grund mehr, sich auf den Himmel zu freuen, aber jeden Augenblick als
glühenden Diamant nehmen. Das gelingt uns nicht, aber ab und zu dank
Gott, möge es uns gelingen.
Amen
Laßt uns beten:
Gott, Du Geheimnis der Welt,
Du Liebhaber des Lebens,
Du Herkunft und Heimat unserer Seelen,
Du Geheimherz der Zeit,
wir danken Dir für R.,
danken Dir für 25 Jahre intensives Leben,
mit Lachen und Farben
und Freude mit Tieren und Pflanzen,
mit liebenden Eltern,
inniger Verbundenheit zur Schwester,
mit der großen Liebe zu S.,
danken Dir für alles, was gelang,
danken Dir,
dass sie in Glaube und Liebe und Hoffnung hindurchgetragen wurde,
bis sie gehen durfte.
Wir danken auch,
dass sie jetzt von uns lassen konnte,
als alle Kraft ausgegeben war.
Wir danken Dir für alle Liebe,
die wir ihr geben konnten und sie uns,
danken, dass wir, obwohl beleidigt und in Schmerzen gestürzt,
doch sie in Dir aufgehoben wissen,
was uns heilen mag im Laufe der Zeit.
Wir bitten, dass die Liebe in uns wächst,
dass die Hoffnung uns trägt,
dass der Glaube uns heilt.
Wir bitten um den Frieden unter uns Menschen,
bitten ein jeder für sich ...
und sprechen gemeinsam weiter:
Vater unser im Himmel ...
Amen