Kolumne 1. Februar 2003 -
Mach Sie stark, mach Ihn schön
Traugott Giesen Kolumne 01.02.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Mach Sie stark, mach Ihn schön
Lieben - das ist die schöne Energie, sich gegenseitig aufzubauen, sich
zu Erfolg und gutem Selbstbewusstsein zu verhelfen. Lieben bringt den andern
vorwärts, erklärt ihm, was er von sich zu halten habe als Kind
Gottes, und verschafft ihm neue Kräfte. Hält ihm auch Bedenken
hin, aber wie einen Mantel, in den er hineinschlüpfen kann. Geliebtwerden
macht schön, etwas zu lieben und es zu verschönen ist wohl ein
und dasselbe. Liebe verschafft beglückende Gefühle, macht, dass
einer gern in seiner Haut ist; hat Lust an des andern Lust. Sie verstehen
einander in magischer Sprache, sie erkennen einander und nehmen sich so an,
dass sie ineinander übergehen, ohne sich zu besitzen; auch nehmen sie
des andern Zeitgefühl an. Liebe ist auch Täuschen und
Getäuschtwerden und sich trotzdem zugehörig wissen, sich vergeben
können, immer noch einmal. Liebende leiden auch Schmerz an der
Machtlosigkeit, dass einer den andern nicht rufen, nicht erreichen kann,
dass einer den andern weggleiten sieht und man ihn loslassen muss und man
invalid zurückbleibt. Liebe drängt nicht, sondern kommt entgegen.
Liebe bahnt Begegnung an, wo einer sein Licht leuchten lassen kann, räumt
Missverständnisse aus, indem man zeigt, wie dies und das auch anders
zu sehen sei, dass also nicht einer der Dumme sein muss, sondern jeder sein
Stück Recht hat. Liebe baut die Waage, auf der die verschiedenen Gaben
und Bedürfnisse gewogen werden und eine Gerechtigkeit gefunden wird,
die des andern Last mit trägt.
Liebe teilt, manchmal auch die Bakterien und die schlechte Laune, aber viel
mehr die Ressourcen; was einer kann, kann er für den andern mit. Liebe
weiß für den andern mit, hat Besitz für ihn mit, freut sich
an geteiltem Nutzen, beruft sich nicht auf Privilegien, lässt gern den
Vortritt, lässt die Wahl dem, der mit mehr Seele an der Entscheidung
beteiligt ist und kommt ohne Machtworte aus.
Liebe räumt Chancen ein, beschafft dem anderen Arbeit, dass er ein Werk
tun und das Behagen schmecken kann, sich und andere vorwärts zu bringen.
Liebe stellt ins Licht, billigt dem andern Einzigartigkeit zu, verehrt ihn
und will ihn geehrt sehen, will auch Geist an ihm entdecken und bewundern;
will des andern Worte zum Guten hin verstehen, Türen öffnend, nicht
argwöhnisch das Gesagte abklopfend, sondern es zum Besten hinkehrend.
Liebe lässt nicht verderben, sie sieht sich in die Pflicht genommen,
sie bahnt Wege in der Gefahr, zeigt den Ausgang in der Not, beschafft Luft,
Raum, Zeit zum Aufatmen können, sie bürgt für das Gutsein
des Lebens.
Wer nichts gibt, hat nichts. Wer nichts gibt, ist der Ärmste. Arm ist
auch, der nicht geliebt wird, aber das größte Unglück besteht
darin, nicht zu lieben. So ist die Arbeit der Liebe ein Lebenswerk, Lehrlinge
darin sind wir alle, aber wenn wir spüren, was uns fehlt, ist Heilung
möglich: Heute befreunde dich mit einem Menschen, mit einer Kreatur.