Kolumne 8. Februar 2003 -
Anerkennen, was ist
Traugott Giesen Kolumne 08.02.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Anerkennen, was ist
Du hast einen Willen, mit dem du viel erreichen kannst. Und hast ein Schicksal,
das du annehmen musst. Mit deinem Willen kannst du ändern, was zu
ändern ist. In dein Schicksal musst du einstimmen, sonst wirst du
verrückt. Wille und Schicksal müssen in Einklang stehen, dann
können wir viel mit dem Willen ausrichten und brauchen keinen inneren
Zwang. Nur wollen, was zu mir gehört, das geht wie von selbst. Ich muss
nicht gegen mich angehen, muss mich nicht zwingen, sondern eigentlich nur
mich machen lassen.
Fühle ich mich müde, muss ich bald schlafen können. Das Wochenende
verschlafen, ist gut getan, spätestens Sonntagmittag stellt es mich
auf die Beine, und ich muss raus, laufen und unter Menschen. Willst du nicht
allein sein, musst du Gesellschaft suchen; einige haben dir was zu bieten
und einige können von dir was brauchen. Ehe du auf den Gedanken kommst,
Alleinsein sei dein Schicksal, gib dir Rechenschaft von den unzähligen
bittenden Blicken, die du übersehen hast. Und oft hast du deinen
Wünschen entgegengehandelt. Damit hast du auch nicht dem Weltwillen
entsprochen, der bekanntlich sagt: Es ist nicht gut, dass der Mensch
allein sei, ich will ihm einen Gefährten geben, der mit ihm lebt."
Sicher gibt es Schicksal, welches Liebe abbrechen lässt. Aber neue
Befreundung wenigstens steht dir zu; wolle sie mit scharfem Willen. Es gibt
auch die Lebensweise des Sichverbergens. Dann anerkenne, dass Dein
Ungestörtseinwollen dir das Wichtigste ist. Vielleicht musst Du wirklich
ausruhen von einer Verknäuelung, die dir die Luft nahm und du weißt
jetzt: Niemals willst du mehr Enge haben.
Lass dir gültig sein, was ist, und hüte dich vor der Falle der
Verschlingung. Es wird sich eine Gesellung auf freundliche Distanz finden,
oder auch nicht, dann kann man nichts machen.
Liebe oder Beruf oder Gesundheit - auf diesen Feldern vor allem müssen
Wille und Schicksal Hand in Hand gehen. Was du für deinen Weg hältst,
das kommt dir auch entgegen. Wozu du berufen bist, das geht dir von der Hand.
Wovon dein Herz voll ist, davon geht dir der Mund über. Gib Acht,
wofür das Schicksal dich will, dafür begabt es dich auch. Dann
tust du das Nötige gut und aus freien Stücken. Und das Geld läuft
hinterher.
Was du aber machst, nur um dein Leben zu fristen, das ist zu schlecht bezahlt.
Such dir Arbeit, deren Erfolg du erlebst. Nur der ist ein glücklicher
Straßenkehrer, der eine frischgefegte Straße genießen kann.
Wer Laub und Papier auf der Straße getrost dem nächsten Wind
überlässt, für den ist das Reinigungsgeschäft eine Plage.
So auch in der Politik - manche schauen drein, als verbäten sie sich,
dass ihnen das Volk zugucke. Die dürften gar nicht fürs Volk arbeiten,
wenn sie ihm am liebsten aus dem Weg gingen. Ähnlich Pastoren, die nicht
grüßen und Lehrer, die keine Kinder mögen. Also spüre
dich auf, merk dich, sieh, was du tust - ob es mit dir im Einklang steht.
Nur dann ist es dein Schicksal.