Kolumne 22. Februar 2003 -
Körperwelten - vorbeilassen
Traugott Giesen Kolumne 22.02.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Körperwelten - vorbeilassen
Leichname zur Schau stellen ist ein starkes Stück. Natürlich sind
sie höchst kunstfertig vom Präparator und Plastinator haltbar gemacht.
Und Körper sind Kunst des Schöpfers. Aber sie sind nicht zum
Augenfutter für abartige Gelüste gedacht. Unsere Körper sind
mit Haut überzogen, damit bedeckt und verhüllt und zusammengehalten
ist, was sonst verloren wäre. Die Haut ist der Reisesack des
Lebens (R. Musil), darin wir leiblich sein können. Menschen bei
lebendigem Leibe die Haut abziehen war stärkste Strafe überhaupt.
Leichnamen die Haut abziehen, heißt für mich, sie nackter als
nackt zu machen.
Natürlich sind wir Menschen gierig zu sehen, was dahinter steckt, darinnen,
darunter. Alles Bekleiden hat außer Schützen und Wärmen auch
den Zweck zu verstecken und zu verwahren, Aber sehen und zeigen wollen, was
unter der Haut ist und dazu Körper enthäuten, scheint mir über
alle Maßen abartig. Wenn man weiß wie Medizinstudenten angehalten
werden, mit Ehrfurcht zu sezieren, eben nicht entmenschte Körperteile
zu traktieren, sondern immer soll die Zuordnung zu dem einen gelebten Leben,
zu seinem Namen, wenn auch verschlüsselt, sichergestellt bleiben. Und
wenn alles Körperliche durchschaut und vermessen ist, wird was
sterblich war von einem genau bezeichneten Menschen unter seinem Namen
mit sakraler Würde bestattet. Immer suchten Heilkundige zu ergründen,
was den Körper als funktionierenden Organismus ausmacht; um den Lebenden
zu helfen, wurden an den Leichen Erkenntnisse gewonnen, wie was liegt und
wozu es dient und wie Körperdienste ungestörter gelingen. Aber
die von Namen und Leben ganz entseelten Häuser zur Schau stellen,
ausgezogener denn je - ich kann es nicht begreifen.
Welchem Menschen würde ich das antun, seinen erloschenen Leib auszustellen?
Das tat man zur Abschreckung mit den Gekreuzigten. Ja es gibt bizarre Seelen,
die ihre verstorbenen Geliebten wenigstens als Leichname noch bei sich halten
wollen, denen könnte im Verborgenen der Meisterpräparator zur Hilfe
eilen; wie leidenschaftliche Jäger sich ja von kapitalen Hirschköpfen
auch nicht trennen können.
Aber Leichname ausstellen, nackt und bloß, vielleicht in den Garten
- wer käme auf die Idee? Aber nackter als nackt, hautlos sie ausstellen
als, ja was - farbige Gegenstände? Das als Kunst ausrufen, wo sind wir
denn? Die Bestattung der Toten ist neben Gebrauch von Feuer und Werkzeug
und Schmuck- das primäre Kennzeichen der Menschwerdung. Daß wir
jetzt entseelte Körper zu Ausstellungsstücken entwidmen, ist mir
wie ein Zurückbomben in die Steinzeit. Dass man die Körper
enthäutet, mildert den Vorgang der Leichenfledderei mitnichten. Hat
zu Lebzeiten auch nur einer seinen Körper solcher Dekorationskunst vermacht?
In der Geisterbahn erschrecken Plastilinleichen und heben den Gruseleffekt.
Auch zu einer Leichen - Ausstellung werden Neugierige kommen, irgendetwas
Kannibalisches ist wohl noch in uns allen. Aber das zur Kunst aufplustern,
dafür Räume vermieten, dafür werben, damit Geld verdienen,
da hingehen ist doch daneben.