Kolumne 07. Juni 2003 -
Heiliger Geist tut Not
Traugott Giesen Kolumne 07.06.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Heiliger Geist tut Not
Was den Bauleuten am Turm von Babel verloren ging und was sie Pfingsten in
Jerusalem wiederfanden ist das Verstehen. Über die ersten Christen kam
ein Feuer, das alle Vorbehalte des einen gegen den andern verzehrte. Und
ihre Seelen wurden zusammengetan, Menschen entdeckten ihr Von einem
Stamme-sein. Sie wurden eines Sinnes, ein jeder hörte in
seiner Sprache die großen Taten Gottes reden- so heißt es in
der Gründungsakte der Kirche, in der Bibel nachzulesen Apostelgeschichte
2.
Viel Erleuchtung braucht es, mich zu verstehen als geliebt und gebraucht
vom Leben. Noch mehr Erhellung braucht es, den Nächsten als ebenbürtig
und gleichberechtigt und gleichbedürftig gelten zu lassen. Einen in
seiner Sprache verstehen, mit ihm in seiner Vorstellungswelt zu sprechen,
das ist erste Wirkung von Heiligem Geist. Dann sieht er sich verstanden,
er ist gehört und nicht verhört worden, einer hat sich bemüht,
des andern Anliegen vorzubringen als wäre es ein Stück von ihm.
Was für Sprache gilt, gilt auch für andere Communionen, anderes
Gemeinsames: Daß wir Besitz teilen oder die Freuden der Sinne, dass
wir ein Projekt zur Linderung von Not auf die Beine stellen oder Musik machen-
es geht darum , dass der heilige Geist uns als einen Klangkörper nutzt.
Es treibt uns ja ein Wissen, Zweig am Baum des Lebens zu sein, eine Rebe
am Weinstock der Liebe, eine Flamme vom Schöpfungsfeuer. Dazu ist Kirche
hilfreich- selbst wenn sie auch zurückgelassene Gegenstände
mitschleppt, denen der Sinn abhanden gekommen ist, Klumpen erstarrter Religion,
ihrer Menschen entledigt(C. Nooteboom). Doch Kirche bewahrt neben allen
Irrungen das Lied der Freiheit, gesungen und erprobt durch den wunderbaren
Jesus: Frei vom Gesetz, frei zur Niedrigkeit mit aufrechtem Gang, frei von
Machtgier und Rache und Todesangst, frei für diesen Tag in wacher
Geistesgegenwart.
Auch wenn wir Individualisten geworden sind, und die Vereine bröseln,
Verhältnisse immer neu verabredet werden, im Notfall auf die besonders
Zuständigen und Bezahlten gewartet wird, und viele arbeitslos sind,
auch weil andere sich nicht helfen lassen- es ist doch die Menschheit nicht
geistverlassen. Die Welt ist angetrieben von der Allmacht, alles Sein ist
Stoff und Form gewordener Schöpfungsgeist, ein Mehr- und Schöner-
und Vollständigerwerdenwollen betreibt alles Wachsen. Daher die Aufspaltung
in Milliarden Werdewelten. Und jeder Mensch ist eine Gott besonders nahe
stehende Empfangsstation von heiligem Geist- wir merken es daran, dass wir
nicht gern Dumme sind.
Wir sind gerne vom Heiligen Geist gestimmt. Befreit von den Schlagworten
und nicht mehr von allen möglichen Meinungen verstört, finden wir
zum eigen gesteuerten Verhalten. Geistig verdrahtet mit der Allmacht, sehen
wir uns im Zusammenhang mit Allem. Gut geerdet und gehimmelt nimm den Augenblick
als Schale des Ewigen, nimm dich eben als den einzigen Zeugen, durch den
Dringliches passiert und sieh in jedem Menschen sein Menschenmögliches.