Kolumne 19. Juli 2003 -
Die Evangelische Akademie ist eine Frage der Ehre
Traugott Giesen Kolumne 19.07.2003 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Die Evangelische Akademie ist eine Frage der Ehre
Die Kirche verarmt. Sie wird Kirchengebäude und Gemeindehäuser
aufgeben, reihenweise Pfarrstellen aufheben, Mitarbeitende entlassen.
Kindergärten und Pflege-Einrichtungen soll bald ganz der Staat bezahlen.
Es steht garstig um die Finanzen, kein Zweifel. Wie der Finanzminister
öffentlichen Besitz versilbert, so muss die Kirche auch losschlagen,
was noch was einbringt; und sich trennen von dem, was abtrennbar ist.
Aber Frage ist, wie viel man von einem Körper wegnehmen kann, ohne dass
die Person verloren geht. Kann man einen Finger geben, ein Ohr, einen Arm,
eine Niere - und doch bleibt das Ich es selbst? Kirche schneidet jetzt an
sich rum, sie betreibt Selbstverstümmelung nach dem Konstruktions-Muster
von Zentrum und Peripherie: Das Herz der Kirche bilde Gottesdienst, Taufe,
Trauung, Beerdigung, dann sofort Seelsorge, dann Bildung, dann Dienste und
Werke der tätigen Nächstenliebe, - die Diakonie. Aber die Trennung
in Wort und Tat ist doch selbstmörderisch. Als hätte Jesus nur
gepredigt und nicht auch geheilt und Frieden geschaffen, - etwa, als er den
Richtern der Ehebrecherin sagte: Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten
Stein.- Als da einer nach dem andern den Stein aus der geballten Faust zu
Boden fallen ließ und heim ging, brach Reich Gottes an. Gottesdienst,
gesellschaftliche Klarstellung und Diakonie gehören doch zusammen. Lieber
sollte der ganze Leib auf Sparbrot gesetzt werden, als dass man eine Mitte
sichert, indem man Arme abschneidet.
Warum nicht sofort mit allen Ausgaben zehn Prozent runter, inklusiv Pensionen
und Beihilfen, und wir bleiben zusammen? Und nächstes Jahr nochmal die
Prozente weniger, die uns die Mitmenschen nicht mehr geben. Und wir alle
bei Kirche haben wieder die aus Not geborene Lust, einen Deckungsbeitrag
mit zu erwirtschaften. Vielleicht werden bald Pastoren ihre Scheine sammeln
wie die Ärzte.
Aber die Existenz der Ev. Akademie in Hamburg, Esplanade 15, ist eine Frage
der Ehre; für alle Protestanten - oder sollen wir fortan bei den
katholischen Geschwistern Meinung und Quartier beziehen?; und für Hamburg
insgesamt. Was hier an christlicher Energie für unser Gemeinwesen
ausgebrütet wird, ist unverzichtbar und kann noch mehr werden. Hier
werden gesellschaftliche Projekte mit Heiligem Geist klug gemacht, hier
können Streitende zueinander finden. Wer in den Zeiten der
Zerwürfnisse und der hart werdenden Konkurrenzen diesen Ort des
Friedenschaffens schließt, der pflanzt das vielbesungene
Apfelbäumchen gerade nicht, sondern fällt es und bewirkt so den
Untergang mit. Wer mit Fahrenlassen der Akademie die Gesellschaft im Stich
lässt, sollte niemals mehr den Rückzug der Gesellschaft aus der
Kirche beklagen.
Aber Kirche ist wirklich in Not. Das Überleben wenigstens der Hamburger
Akademie sichern, wäre ein passendes Projekt für Kirchenkritische,
die ihren Beitrag sparen, obwohl sie wollen, dass Kirche bleibt und ihre
Aufgaben wahrnimmt. Auch sollte Bischöfin Jepsen sich die Liste der
Ausgetretenen noch mal geben lassen und einige Bitt-Besuche wagen.