Kolumne 25. Oktober 2003 -
Der Traum: Jung und Alt geben sich Halt
Traugott Giesen Kolumne 25.10.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Der Traum: Jung und Alt geben sich Halt
Die Zeiten, da wir aus dem Vollen schöpften sind vorbei. Wir konnten die steigenden Bedürfnisse alle irgendwie befriedigen, weil der Kuchen von Jahr zu Jahr wuchs. Jetzt müssen wir zurückstecken; auf einmal ist kein Überschuss mehr da. Zahler verlassen den Staat durch Sterben, durch Auswandern, durch Verlagerung von Arbeit ins Ausland. Menschen kündigen den Kirchen und den Gewerkschaften. Weniger Junge und mehr Alte müssen miteinander zurechtkommen.
Nun hat es keinen Zweck, den Alten ihre Bleibelust vorzuwerfen und den Jungen ihre mangelnde Kinderlust. Auch die Jungen werden mal gern alt werden. Und wer keine Kinder will, hat seine Gründe; keiner geht diesen Lebensfreude-Verzicht freiwillig ein. Es bleibt nur, dass die Generationen sich mit ihren Gaben und Bedürfnissen neu verabreden. Und wieder lernen, dass man bei absoluter Verfügungsfreiheit über seine Zeit auch verwahrlosen kann. Wir werden wieder Freunde werden, auch weil wir uns mehr brauchen.
Altersgrenzen müssen aufgehoben werden. Wir sind ja jetzt schon bunt gemischt am Skilift, auf den Radwegen, im Pool. Eben hatte Mercedes eine wunderbare Werbung gestartet: Der Junge bittet seinen Vater um den Autoschlüssel, der sagt ihm: "Bist zu jung". Der um einiges älter Gewordene will wieder Vaters Auto leihen und bekommt wieder zu hören: "Zu jung". Dann hat der wohl Vierzigjährige einen heißen Renner, Vater will mal fahren. Was sagt der Sohn? "Zu alt". Und der Vater lässt ein unwirsches enttäuschtes Röhren von sich, während der Sohn davonbraust. Ich habe diese Werbung nur ganz kurz gesehen und vermute, sie wurde schnell wieder eingezogen. Denn die Älteren fahren auch gern die teuren Schlitten.
Die Jungen wollen nicht als zu jung abgewiesen werden, die Alten nicht als zu alt - es ist ein Zugewinn, dass die Altersgrenzen durchlässiger werden. Sicher bleibt ganz früh die Kindheit und ganz spät das Greisenalter. Aber die wache Zeit von sechzig bis achtzig ist ein enormer Zugewinn. Junge und Alte spielen Golf, Junge und Alte haben Lust zur Arbeit oder auch nicht. Da könnte sich ein neues Verteilen auftun.
Immer mehr Alte haben genug, um nicht wegen Geld noch arbeiten zu müssen. Aber wenn sie noch ins Gelingen verliebt sind, sollen sie arbeiten können, bei geschrumpftem Lohn. Die Jungen, ob sie viel oder wenig Lust haben, sie müssen um ihres Lebensunterhaltes willen arbeiten. Darum müssen sie mehr Geld bekommen als die Alten. Es sollte in Zukunft keine Alterszahl die Arbeit aus der Hand nehmen, doch die Jungen müssen mehr verdienen, weil an ihnen mehr hängt und sie mehr brauchen.
Vieles, was einst Nachbarschaftliches und Nächstenliebes war, haben wir in Berufe ausgegliedert. Bauen wir wieder mehr Gemeinschaft in Geben und Nehmen ein. Babysitten, Hausaufgaben begleiten, für den Nachbarn mitkochen, sich ein Auto teilen. Viel ins Bezahlte Ausgelagerte können wir zurückholen, wenn wir uns mehr Zeit lassen für Befreundung.