Kolumne 9 . September 2006
Traugott Giesen Kolumne 09.09.2006 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Komm wieder, lieber Mut
Ich will es nicht lassen, auf Hoffnung zu setzen. Ja, es gibt Phasen, da
bin ich niedergeschlagen. Da wünsch ich mir, einfach einzuschlafen und
nicht mehr aufzuwachen. Jedenfalls nicht hier, wo die Sorgen und Schmerzen
wiedernach mir greifen.
Und doch ist in mir ein Brennstoff, der will; will hier sein auf dieser
schönen, armen Erde. Und noch mitmischen, will gebraucht werden, will
merken und staunen. Der eine Atemzug-ein und aus: und dann gerade kein Schmerz,
sondern im ausgeatmeten Zustand ein tiefer Friede, Stille, ich spür
den Hauch meines Lächelns, eben jetzt. Dann, beim nächsten Atemholen,
kann schon wieder der Schmerz mich überfluten - aber eben war es gut.
Und es wird wieder eine Scheibe Gutes abfallen für mich.
Und was waren das für glückliche Tage, sorglos die Jahre. War es
nicht alles leicht? So kommt es mir vor. Man wusste gar nicht, daß
man einen Körper hat, er gehorchte einem verlässlich und man ihm.
Jetzt erst weiß ich , wie viel Körper meine Seele ist .
Aber was nahm ich auch ernst, worüber ich jetzt nur lachen kann. Ermattet
erschrecke ich, wie ich auch mit Spielen um Ehre und Mithaltenwollen die
Zeit vertan hab. Und ich war ahnungslos von dem, was mir jetzt Golden scheint-
einfach ohne Schmerz da sein können, die Wolken ziehen sehen und die
Kinder toben.
Herbstblumen, Vögel sammeln sich zu Schwärmen, sollte schon mein
Herbst beginnen? Jedenfalls gerät mir die Zukunft unter einen Zeitraffer.
Ich bekomme schon Anfälle von Sehnsucht nach einem ganz anderen Leben.
Aber ich will doch noch so viel hier. Ich will noch lieben und das Geliebtwerden
genießen; will auch lernen, in anderen glücklich zu sein. Auch
bin ich so ins Gelingen vernarrt, vieles muß noch fertig werden; und
was habe ich mir alles vorgenommen für später. Ich hab auch noch
nicht die türkisenen Eisberge gesehen und wollte noch Mundharmonika
lernen.
Doch, ich setz noch auf Leben. Gib mir mehr davon -Du großes Du, ich
weiß doch daß Du da bist. Und hier nütz ich Dir mehr als
drüben- das stimmt doch.
Was ich dazu tun kann? Ich werde auf Erfolg setzen solange ich auch nur ein
Glied noch regen kann. Sicher ist der Tod nur vorläufig in Schach gehalten,
aber das bisschen Leben will ich aussaugen. Was sagte Goethe: "Das Leben
ist kurz, der Tag ist lang." Ich werde morgens den Tag begrüßen
als neues Geborenwerden. Frühstück ist Jugend, bis Mittag ist die
Arbeitszeit, dann Schlaf und Rüste zur zweiten Lebenshälfte, Natur
sehen, irgendwas Draußen tun, zum Abendessen beginnt der Ruhestand,
nur noch genießen - ferne Länder, Liebesgeschichten im Fernsehen,
Plaudern, mit einem Menschen Hand in Hand sein. Dann sich niederlegen, den
Tag, das Leben verabschieden, in die Barke des Schlafes steigen und gelassen
drüberhinträumen, an welchem Ufer man angelandet wird. Und wieder
noch ein großer Tag, voll zitterndem Dank? Und der Mut ist da und ich
sammle Blicke und Stimmen und genieße, noch unter der Sonne zu sein.